TAO Unternehmensberatung

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Offboarding: "Abwicklung" oder Chance?

Befunde und Überlegungen zu einem „guten Ende“ des Arbeitslebens für Person und Unternehmen

„Ihr Dienstvertrag endet per 31.5.2022. Sie haben dafür Sorge zu tragen, dass ihr Dienstzimmer zu diesem Zeitpunkt geräumt ist. Wir machen Sie darauf aufmerksam, dass sie ab 1. Juni das Haus aus dienstlichen und arbeitsrechtlichen Gründen nicht mehr betreten dürfen.“

Leopold Stieger, ein Pionier der österreichischen Personalentwicklung berichtet von einem ihm bekannten Mediziner, der mittels eines solchen Schreibens in den Ruhestand „verabschiedet“ worden ist[1]. Ein folgenschwerer Fehler sei eine solche Vorgehensweise, die – einer 2021 unternommenen Studie nach – keineswegs eine unrühmliche Ausnahme darstellt.

Auch wenn solches und ähnliches Verhalten wohl eher bei großen Unternehmungen immer wieder zu beobachten sein wird, auch in kleineren Betrieben sollte das vielfältige Fehlerpotenzial in der Phase des Berufsausstiegs einzelner Mitarbeiter:innen nicht unterschätzt werden. Viele Gründe sind ausschlaggebend dafür, dass leider häufig nicht nur einzelne Personen nachhaltig tief gekränkt werden, sondern darüber hinaus ein enormes Potenzial in Hinsicht auf die Kompetenzentwicklung des Unternehmens, des erfolgreichen Employer Brandings in Zeiten zunehmenden Fachkräftemangels und einer motivierenden Unternehmenskultur leichtfertig übersehen werden.Good Bye

Dazu vorneweg einige Zahlen aus der erwähnten Studie, die von Leopold Stieger im Rahmen der von ihm gegründeten Plattform (siehe dazu www.seniors4success.at) in Auftrag gegeben wurde. Der Befund, nach Befragung von immerhin 611 Personen (darunter auch Personen, die mit Personalfragen beschäftigt sind wie bspw. Führungskräfte, Betriebsrät:innen, HR-Verantwortliche), zeigt schnell ein eigentlich erschreckendes Bild auf. Das wird schon deutlich, wenn man erfährt, dass in etwa die Hälfte - also jeder zweite(!) - der 380 befragten Pensionist:innen (im Alter von 60 -70 Jahren) angaben, sie seien „unrühmlich“ verabschiedet worden. Das führt dazu, dass – und dieses Ergebnis ist eines der bedeutsamsten – 56% meinten, sie würden ihr ehemaliges Unternehmen nicht als Arbeitsstätte empfehlen. 35% der Befragten meinten wiederum, dass keine geregelte Übergabe vorgesehen war, obwohl gleichzeitig 62% den Eindruck hatten, ihr Arbeitseinsatz wäre bis zuletzt dringend gebraucht gewesen. 25% der kürzlich pensionierten Personen fühlten sich schon vor dem Datum ihres Ausstiegs „auf dem Abstellgleis“, indem sie beispielsweise nicht mehr zu Workshops oder Weiterbildungsmaßnahmen eingeladen wurden, während 59% in der Befragung angaben, dass sie eigentlich gerne weiterarbeiten würden; – und zwar trotz der schlechten Behandlung durch Vertreter:innen ihres Unternehmens.

Ein besonders auffälliges Ergebnis ergibt sich in der Gegenüberstellung der Aussagen von Unternehmensvertreter:innen und „betroffenen“ Pensionist:innen. Die Grafik in den Präsentationsunterlagen zeigt beeindruckend einen eklatanten Unterschied auf:

Die mit Personalfragen befassten Vertreter:innen des Unternehmens haben ein signifikant positiveres Bild vom Prozess des Offboardings als die direkt Betroffenen. Dazu nur ein Beispiel: Der Selbsteinschätzung von 61%, dass Personen mit einer Geschenkübergabe verabschiedet wurden, steht der Befund gegenüber, dass von einer solchen Vorgehensweise (abhängig von der Dauer der bereits angetretenen Pension) nur 33 bis 38% der befragten Pensionist:innen berichten. Als einen weiteren Befund lässt sich dann noch der Hinweis der Verantwortlichen der Studie werten, dass es sehr viele Absagen seitens der Unternehmen gab, die man befragen wollte. Man darf vermuten, dass diejenigen Betrebe, die vermutlich wenig bis gar nichts in Hinsicht auf eine würdige Verabschiedung unternehmen, erst gar nicht geantwortet haben. Wie in einer Ö1-Sendung zu diesem Thema berichtet wurde, gab es auch Personalverantwortliche, die überhaupt kein Problembewusstsein zu haben scheinen, und eher verstört nachfragten, welche Aktivitäten denn überhaupt denkbar wären, die über eine korrekte Abwicklung der verschiedenen arbeitsrechtlichen und organisatorischen Notwendigkeiten hinausgehen.

Alles in allem also: Ein bemerkenswertes Bild, das deutlich zeigt, wie sehr ein nicht zu unterschätzendes Potenzial an Fehlern vor dem Hintergrund des eklatanten Mangels an Fachkräften übersehen wird, wie sehr sich zwischenmenschliche Unachtsamkeit, Mangel an Empathie und wohl auch fehlendes Taktgefühl beobachten lässt;  und – nicht zu unterschätzen – welches ungenutzte Potenzial hier brachliegt. Ich selbst war übrigens auch verblüfft, wie wenig ich bei der Recherche nach themenbezogener Fachbeiträgen in einschlägiger Literatur fündig werden konnte.

Welche Erklärungen finden sich, wenn man diesen Befund ernst nimmt? Wie kann es sein, dass ein Vorgehen, das man eigentlich als selbstverständlich vermuten würde, so augenfällig unterbleibt?

Als eine erste, zugegeben spekulative Vermutung, kommt einem naheliegend in den Sinn, dass in diesem Zusammenhang Unangenehmes vermieden wird. Das Ende hat, aus psychologisch leicht verstehbaren Gründen, einen äußerst schlechten Ruf. Der Anfang gilt als magisch[2] und wird in einer fortschrittstrunkenen Welt eindeutig favorisiert. Immer wieder etwas neu beginnen, – das wird in einer neuerungsverliebten Kultur fortwährend propagiert. Eine bedauerliche Nebenwirkung dieses „Innovationsfurors“[3], wie das schon genannt wurde, liegt scheinbar darin, dass, wenn Neues schon alleine dadurch „gut“ ist, weil es (nicht selten nur scheinbar) „neu“ ist, dann folgelogisch „Altes“ nur mehr lästig wird. Eine Art Beseitigungsimperativ wird dann verhaltenswirksam. Eine Beobachtung, die sich besonders deutlich (und unangenehm) im Kontext versicherungsmathematischer Fachbegriffe  ablesen lässt: „Langlebigkeitsrisiko“ so nennt man dort recht unverblümt eine erhöhte Lebenserwartung!

Interessant in diesem Zusammenhang, dass doch ganz grundsätzlich gelten muss, dass jedem Anfang ein Ende vorausgehen muss. Wenn Etwas beginnt, hört Etwas auf. „Wir Menschen sind endliche Wesen. In jedem kleinen Ende steckt das ultimative Ende, das nicht vermeidbare, das drohende, über unseren Köpfen und Leibern schwebende Ende von allem: der Tod.“[4]

Diese ärgste existenzielle Kränkung – das darf man auch in diesem hier behandelten Zusammenhang vermuten – wird geflissentlich ausgeblendet, was sich dann eben in der durch den Befund erhobenen Weise auswirkt.

Dazu passen auch häufig beobachtbare Altersstereotype, die nahezulegen scheinen, dass Altern ausschließlich durch Verluste zu kennzeichnen ist. Eine Vielzahl von diesbezüglichen Untersuchungen – vor allem im Kontext generationensensibler Personalarbeit – zeigen auf, wie falsch solche Wahrnehmungen sind. Den biologisch bedingten Abbauprozessen, die selbstverständlich auch konkrete Berücksichtigung finden sollen, stehen eine beeindruckende Menge an wachsenden Kompetenzen gegenüber, die – wie unten noch näher ausgeführt – äußerst nützlich für einen gelingenden Organisationsalltag und angestrebte Weiterentwicklungen des Unternehmens sein können, – ja vielleicht sogar unentbehrlich sind. Der Prozess des Alterns von Personen ist nicht nur auf der persönlichen Ebene von uns allen, sondern auch im Kontext von Organisationen ein gestaltbarer Vorgang mit Chancen und nicht bloß ein zunehmendes Verlustgeschehen, das man als notwendiges Übel wohl hinnehmen muss.

Solche eigentlich völlig trivialen Hinweise sind vermutlich nur deswegen nötig, weil in einer neoliberal geprägten Leistungsgesellschaft zunehmend der „Wert“ – ja womöglich die Akzeptanz von Menschen – an deren Leistung festgemacht wird. Eine Haltung, die einer überbordenden Verwertungs- und Optimierungslogik folgend, in ethisch bedenklicher Weise übersehen lässt, dass die Würde von Personen an deren absoluter Freiheit von Verzweckung zu bemessen ist. Wenn in der hier zum Anlass genommenen Untersuchung sich der Befund ergibt, dass Personen den Prozess der Verabschiedung aus dem Erwerbsleben „unwürdig“ erleben, dann wird darin eine dem Kapitalismus inhärente Haltung sichtbar. Es wird deutlich, dass man offenkundig tatsächlich als Teil des „Humankapitals“ oder – nur scheinbar besser – als „Human Ressource“ eben doch nur ein Betriebsmittel war, das, wie alles einem Verschleissprozess unterworfen, irgendwann keine weitere Verwertung mehr erlaubt. Auch zu nennen sind hier geläufige Argumente im Zusammenhang mit dem nicht selten geradezu euphorisch und damit unkritisch kommentierten Megatrend der digitalen Transformation. Eine ganz anders sozialisierte Generation wäre hier zu bevorzugen, „Digital Natives“ sind eben schlicht und einfach besser anschlussfähig und eindeutig den „Digital Outsiders“ überlegen, die so betrachtet dann tatsächlich als Innovationsproblem wahrgenommen werden. Übersehen wird dabei – und das sollte den Personalverantwortlichen deutlich vor Augen geführt werden – dass eine als Belastung wahrgenommene Altersstruktur der gegebenen Belegschaft als Hinweis auf einen eklatanten Mangel an Führungsqualitäten interpretiert werden sollte. Die so häufig vernommenen Appelle an eine als wichtig erachtete Diversitätskompetenz sollte eben nicht nur den Hochglanzbroschüren und Wertekatalogen als Aufputz dienen, sondern ein ernster und durchaus herausfordernder Anspruch sein, der entsprechende (Personal-)Entscheidungen und daran anknüpfende konkrete Vorgehensweisen verlangt.

Auch der häufig genannte Hinweis, das man alleine schon deshalb, Mitarbeiter:innen nach Erreichen des Pensionsalters nicht mehr beschäftigen könne, weil die Personalkosten nicht mehr vertretbar wären, übersieht die selbstverständlich möglichen alternativen und originell verfassten Möglichkeiten von weiterlaufender Beschäftigung, die eine nicht zu verachtende Chancenvielfalt birgt. Dazu noch einmal Zahlen aus der genannten Untersuchung: 59% der befragten Pensionist:innen gaben an, sie hätten gerne in irgendeiner Form für Ihr Unternehmen weitergearbeitet und 46% hätten auch erwartet, dass es ein solches Angebot gegeben hätte.

Was sind denn nun Argumente, die für eine adäquat würdevolle Gestaltung des Übergangs in die Pensionierung sprechen? Was rechtfertigt den damit natürlich verbundenen Aufwand?

Hier will ich ganz bewusst mit sozialethischen Überlegungen beginnen. Die negativen psychologischen Effekte einer lieblosen und damit zutiefst kränkenden Pensionierung, die eher einer Entlassung ähneln, als einem dankbaren Abschied darstellen, sollten keinesfalls unterschätzt werden. Es ist ganz sicher nicht übertrieben zu behaupten, dass der letzte Tag im Arbeitsleben von Mitarbeiter:innen überwiegend als einer der emotionalsten Tage im gesamten Lebenslauf erlebt wird. Lässt man – um hier ein konkretes Beispiel zu nennen – als jemand, der seit seinem 16. Lebensjahr in einem Betrieb gearbeitet hat, und damit schließlich über 45 Jahre mit Einsatz seinen oder ihren Beitrag zum Gelingen der Organisationsaufgaben beigetragen hat, schlussendlich die Werkstore hinter sich, dann ist das mit Sicherheit eine der größten Veränderungen im Leben der Betroffenen. Die damit verbundenen Erlebnisse und Erfahrungen prägen sich enorm ein und begleiten jemanden schließlich dann die nächsten 20 Jahre womöglich stimmungsprägend. Je nachdem wie der Abschluss gestaltet wurde – und diese Vermutung ist nicht leichtfertig hingeworfen –, kann sich daraus entweder eine Art Lähmung für Aktivitäten im verdienten „Ruhestand“ ergeben oder eben eine Art Auftakterleben sich einstellen, das einem in die nächste Phase des eigenen Lebenslauf hineinhilft. Gelungene Vorgehensweisen, die sich durch eine würdevolle und dem Anlass angemessene Gestaltung von Abschiedszeremonien auszeichnen, helfen mit, sich im Nachhinein nicht nur als nun passiv gewordener Empfänger wohlfahrtstaatlicher Leistungen zu verstehen, sondern im Sinne eines Aktivbürgers bzw. einer Aktivbürgerin sich eingeladen und ermutigt zu fühlen, weiterhin eigenverantwortlich eigene Potenziale über die gesamte Lebensspanne hinweg zu entwickeln und eigene Tätigkeiten der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen.[5] Eine Vielzahl von evidenzbasierter Forschung zeigt, dass die andauernde Aktivität auch im höheren Lebensalter ein enorm bedeutsamer Beitrag zur Erhaltung von Gesundheit ist und also lebensverlängernde Wirkungen zeigt.

Es sollte nicht unterschätzt werden, welche negativen Wirkungen nicht geschlossene „Gestalten“ erbringen können, die sich dann einstellen, wenn keine ausreichend emotional wirkenden Rituale am Ende des Erwerbslebens den Betroffenen dabei helfen, sich eine vielleicht am liebsten verdrängte Tatsache deutlich selbst bewusst zu machen. Fehlt der deutlich wahrnehmbare Abschluss, indem man „sang- und klanglos“ die letzten Stunden seines Erwerbslebens „abwickelt“, dann bleibt man womöglich emotional stecken und muss immer wieder entweder trauernd, wütend oder reuevoll zurückblicken. Durchaus vergleichbar mit den bekannten Trauerphasen, die auch bei Verlusterlebnissen so deutlich zu beobachten sind, braucht es für einen gelingenden Abschluss der überaus bedeutsamen „Trauerarbeit“ die Unterstützung durch Symbolhandlungen. Unterbleiben solche eindrucksvollen Momente, dann lässt sich häufig nicht vermeiden, dass man entweder durch andauernde Verleugnung, durch nicht endenwollendes rückwärtsgewandtes Trauern oder durch permanentes Hadern mit vergangenen Erfahrungen an der Weiterentwicklung und Offenheit für Neues gehindert wird.

In einem größeren Zusammenhang gestellt, sollte eine gelingende Verabschiedung durchaus auch als Beitrag verstanden werden, im Sinne eines gerecht und solidarisch verfassten Verhältnisses zwischen den Generationen zu wirken.

Auch an dieser Stelle entscheidet sich, ob Geringschätzung, wenn nicht sogar Verachtung der Älteren durch die Jüngeren oder aber der Respekt vor ihnen ausschlaggebend wird, wie man das in manchen Kulturen bis heute unübersehbar erkennen kann; – man denke in diesem Zusammenhang zum Beispiel an den chinesischen Konfuzianismus. Der prominente Philosoph Otfried Höffe formuliert dazu: „Der hier entscheidende Grundsatz sollte unstrittig sein. Er ergibt sich aus zwei Vorgaben. Auf der einen, der normativen, das heißt für die Rechtfertigung entscheidenden Seite hat jeder Mensch einen absoluten Eigenwert, ‚Menschenwürde‘ genannt, aus der unveräußerliche Grund- und Menschenrechte folgen. Auf der anderen Seite, der Seite der Lebenserfahrung, wird das Prinzip der Menschenwürde nicht etwa für ältere Menschen arbeitslos. Im Gegenteil ist über alle Kultur- und Epochengrenzen hinweg der Wunsch verbreitet, bis ins hohe Alter geachtet zu sein und möglichst selbstständig zu leben.“[6]

Eine ganz andere Betrachtung, die im hier gegebenen Zusammenhang sich aufdrängt, ergibt sich aus der Perspektive der Organisationen. Nimmt man die oben referierten Befunde ernst, dann ergibt sich sofort die Schlussfolgerung, welche Bedeutung im Sinne eines gelungenen „Employer Brandings“ – noch dazu in den schon erwähnten Zeiten omnipräsenten Fachkräftemangels – die gegenständliche Phase des Pensionseintritts aufweist. Wenn tatsächlich die Hälfte der Befragten angibt, sie würden die Mitarbeit im Unternehmen schon alleine wegen der unrühmlichen Gestaltung des Pensionsantritts nicht empfehlen, dann sind im Vergleich dazu die typischen Aktivitäten, die dem Arbeitsmarkt vor Augen führen sollen, dass man eine attraktive Arbeitsstätte sei, schnell einmal in ihrer Wirkung geschmälert. Die Bedeutung von Mundprogaganda ist bekannt – gerade wenn es um negative Bewertungen geht. Das gilt selbstredend nicht nur für die betroffenen Pensionist:innen selbst, sondern natürlich auch für alle diejenigen, die noch aktiv im Unternehmen die missglückten Prozesse ja auch genau beobachten und dann entsprechend bewerten – selbstverständlich auch mit der beunruhigenden Perspektive selbst auch einmal in dieser Weise behandelt zu werden. Nicht übersehen werden sollte, dass solcherart eine weiterer Beitrag zum Teufelskreis der Verdrängung wichtiger Fragen sich ergibt; – das Thema wird, ob der so achtlosen Behandlung ein weiteres Mal in seiner Bedeutung abgedunkelt.

Nimmt man den Hinweis ernst, dass häufig auch schon vor der eigentlichen Verabschiedung, im Vorfeld der nahenden Pensionierung zumindest implizit kommuniziert wird, dass man eigentlich schon nicht mehr wirklich gebraucht wird (Stichwort: unterlassene Einladungen zu Workshops oder Weiterbildungsseminare), dann ergibt sich auch hier eine selbstverstärkende Dynamik. Die folgelogisch sich ergebende Demotivation bestätigt dann womöglich eine altersfeindliche Wahrnehmung von altgedienten Mitarbeiter:innen bzw. Kolleg:innen, die „doch nur mehr auf die Pension warten“. Eine klassische „self-fulfilling-prophecy“ kann sich hier entfalten.

Ganz abgesehen davon vergibt man eine wirklich große Chance. Gerade bei Weiterbildungsmaßnahmen bzw. Entwicklungsworkshops können die älteren, berufserfahrenen Kolleg:innen eine nicht zu unterschätzende Ressource darstellen. Die Stichworte, die hier zu nennen sind: Wissensmanagement, Mentoring, Weitergabe von impliziten Wissen, Bewahrung von Bewährtem, Diversität als Schutz vor unterkomplexen Beschreibungen in Hinsicht auf komplexe Themenstellungen, Unterstützung bei Nachfolgeprozessen und so weiter. Ja mehr noch: Gerade im Bereich von innerbetrieblichen Schulungen birgt oftmals der Erfahrungsschatz der zukünftigen Pensionist:innen ein viel zu häufig übersehenes Potenzial.

Das gilt – nebenbei bemerkt – natürlich auch für die Zeit nach der schon erfolgten Pensionierung. Es spricht nicht nur nichts dagegen, sondern im Gegenteil sehr viel dafür, die schon pensionierten Fachkräfte in Krisenzeiten bzw. in Zeiten des angespannten Arbeitsmarktes durch flexibel und situationsangepasst entwickelte Arbeitsmodelle erneut zu beschäftigen; – gerade so, wie man das jetzt soeben in Hinsicht auf medizinisches Fachpersonal in pandemiebedingten Engpasssituationen ja erfolgreich handzuhaben wusste. Die immer wieder eingebrachten Argumente der Verdrängungseffekte für die Jungen sind im Moment ja offenkundig nicht stichhaltig.

Natürlich sind damit nicht wenige Herausforderungen zu bewältigen, besonders dann, wenn man nicht übersieht, dass die hier angestellten Überlegungen nicht nur für die Situation des Übergangs in die Alterspension gilt, sondern auch für den Ausstieg aus anderen Gründen und Motiven. Man beachte in diesem Zusammenhang die Beendigung von Ausbildungszeiten, die ebenfalls eine würdige Verabschiedung rechtfertigen, auch wenn die zeitliche Betriebszugehörigkeit geringer war.

Auch an erleichternde Ausstiegsoptionen bei unvorhergesehenen Lebensereignissen (z.B. Pflegebedarf von Angehörigen, Todesfällen, und so weiter) ist zu denken und dabei natürlich auch die geschlechtsbezogenen Ungleichheiten zu beachten. An dieser Stelle sind auch äußerst anspruchsvolle Übergangsregelungen für einen gleitenden Ausstieg in den Ruhestand als Ausdruck einer demographiesensiblen Personalpolitik ins Treffen zu führen.[7]

Alle diese Aspekte ergeben selbstverständlich die Frage, wie sich denn nun solche Effekte vermeiden bzw. erzielen lassen? Was lässt sich unternehmen, um die Vorteile gelungener Pensionierungsprozesse zu nutzen bzw. den schädlichen Effekten misslungener Verabschiedungen präventiv zu begegnen?

Dazu einige Prinzipien und konkrete Tipps, die hier nur eine Auswahl darstellen können:

  • Ein wichtiges Prinzip vorneweg: Die Verabschiedung von verdienten Mitarbeiter:innen sollte als absolute „Chefsache“ verstanden werden. Wenn auch nichts gegen eine von den Kolleg:innen organisierte Abschiedsfeier spricht, ein wirklich nachhaltiger Eindruck wird sicher noch bedeutend verstärkt, wenn der oder die Vorgesetzte oder noch besser die Geschäftsführung dabei den entscheidenden Ton angibt.
  • Wird ein solches Prinzip dann noch gar – wie in manchen Unternehmen vorbildlich praktiziert – systemisch verankert, indem ein eigens eingerichteter „Offboarding Officer“ für die nötige Bedeutungsgebung sorgt, dann ist hier ein nicht unbedeutender Beitrag zu einer gelungenen Kulturarbeit gesichert. Offboarding-Prinzipien sollten also, was nur sehr selten geschieht, explizit in etwaige Kulturinitiativen aufgenommen werden.
  • Längerfristig bedeutet das, sich um die Entwicklung einer Arbeitskultur im Unternehmen zu bemühen, in der der Austausch zwischen Mitarbeiter:innen – egal welcher Altersgruppen – Teil des Arbeitsalltags wird (Stichworte: Supervision, paralleles Arbeiten in Doppelbesetzung, Mentoring, Diversity-Management, und so weiter) und darüber hinaus grundsätzlich die Realisierung einer generationensensiblen Einstellungspolitik.
  • Um bei dieser strukturellen Dimension zu bleiben: Will man – was zu empfehlen ist – Leaving-Expert-Prozesse wertschöpfend gestalten, dann engagiert man dafür idealerweise eine interne oder externe Prozessberatung.[8]
  • Immer wieder eigentlich verblüffend und wohl nur durch die oben erwähnten psychologischen Verdrängungsdynamiken erklärbar, lässt sich beobachten, dass die so entscheidenden Nachfolgeplanungen manchmal sogar gänzlich unterbleiben, was bedeutende Probleme bewirken kann (Stichworte: Wissensübergabe, Einarbeitungs-phasen, Teamentwicklungsprozesse, Veränderungen der Aufgabenverteilung,…).
  • Wenn jemand aus einem Team ausscheidet, dann erfordert das immer eine Neuorientierung des gesamten Teams unabhängig davon, ob die Stelle neu besetzt oder ausgeschrieben wird. Diese nötigen Anpassungsprozesse lassen sich ideal nutzen, um Teamentwicklungsmaßnahmen aus gegebenen Anlass zu organisieren. In diesem Zusammenhang sollte wiederum – wie oben schon erwähnt – nicht übersehen werden, welche Vorteile es haben kann, wenn man das zeitlich so plant, dass auch die ausscheidenden Mitarbeiter:innen in diesen Prozessen eingebunden bleiben. Es spricht auch nichts dagegen, dass man bereits pensionierte Mitarbeiter:innen bei nachfolgenden Workshops ganz bewusst einlädt, um vom erworbenen Knowhow noch zu profitieren. Das geht allerdings nur dann, wenn die Austrittsprozesse auch entsprechend wertschätzend vorgenommen und von den Betroffenen auch so erlebt wurden.
  • Um diesen wertschätzenden Übergang und Austritt tatsächlich realisieren zu können, ist – wie oben schon erwähnt – an gelungen „inszenierte“ Symbolhandlungen zu denken. Um hier nur exemplarische Beispiele zu nennen: Man kann etwa im Rahmen einer Verabschiedungsfeierlichkeit eine Zeitlinie aufzeichnen und als eine Art ritualisierter Rückblick im Kreis der Kolleg:innen, die bedeutsamsten Entwicklungen, Veränderungen und Projektverläufe gemeinsam Revue passieren lassen. So vermeidet man die oft auch irgendwie „verkrampft informell“ ablaufenden (und unvermeidlichen) Büffetsituationen und – das sollte nicht unterschätzt werden – ermöglicht auch den mitbetroffenen Kolleg:innen einen nicht selten motivierenden Rückblick auf gemeinsame Leistungen. Häufig lassen sich in dieser Form auch im Sinne einer „oral history“ Erkenntnisse und Aha-Erlebnisse für jüngere Kolleg:innen erzielen, die einem gelingenden Zugehörigkeitsgefühl dienlich sein können.
  • Beinahe obligatorisch scheinen mir Austrittsinterviews mit Personal- und oder Kulturverantwortlichen zu sein, am besten auf freiwilliger Basis, die es ermöglichen, äußerst wertvolle Erkenntnisse und Schussfolgerungen aus den abschließenden Feedbacks zu generieren. Eine Erfahrung aus dem Bereich der öffentlichen Verwaltung zeigt, dass über 40% der eingeladenen Personen eine solche Gelegenheit auch gerne wahrnehmen und es als eine weitere Form der Wertschätzung erleben.
  • Es wurde auch immer wieder berichtet, dass die gebotene Gelegenheit weiterhin kostengünstig an Dienstleistungen des Unternehmens teilnehmen zu dürfen (Stichwort Betriebskantine u.dgl.) eine weitere, wenig aufwändige Möglichkeit darstellt, auf informellem Wege Wissensbestände (zumindest eine Zeit lang) im Unternehmen zu behalten. Unterstützen lassen sich solche Effekte noch durch die organisatorische Unterstützung von Pensionist:innentreffen und sonstige gemeinsame Aktivitäten und Einladungen.

Sollte einem das alles als viel zu aufwändig erscheinen, dann sollte der Gedanke Beachtung finden, dass es wohl keine überzeugendere „Markenbotschafter:innen“ geben kann, als die pensionierten Personen, die doch am besten authentisch über das ehemalige Unternehmen und die dort etablierte und „bis zuletzt“ realisierte Kultur berichten können.

So bleibt festzuhalten: Sowohl aus der Perspektive der Organisation, wie auch vor dem Hintergrund der persönlichen Aufgabe, die Kunst des Alterns zu entwickeln, sollte man diesen so entscheidenden Momenten große Beachtung schenken; – dann kann vielleicht gelingen, was der große spanische Cellist Pablo Casals so ausdrückte: „Wenn man weiter arbeitet und empfänglich bleibt für die Schönheit der Welt, die uns umgibt, dann entdeckt man, dass Alter nicht notwendigerweise Altern bedeutet.“

Dazu passend und abschließend noch ein gelungenes „Reframing“ des bedeutenden amerikanischen Psychologen Carl Rogers, der einmal erwähnte, dass ihm einst als junger Mann von Ärzten, die eine damals ihn plagende Erkrankung behandelten, nüchtern erklärt wurde, er werde sich wohl damit auseinandersetzen müssen, dass er vermutlich jung sterben werde. Rogers kommentierte diese Prognose in einem Interview mit ironischem Unterton: „Ich bin jetzt über 80 Jahre alt und mich beobachtend vermute ich, dass die Ärzte wohl recht behalten werden.“

Peter Frenzel 2022, www.tao.co.at


[1] Siehe dazu einen Ö1-Beitrag vom 4.1.2022: Das oft unfreundliche Ende der Berufstätigkeit. Sendereihe „Punkt eins“ (Leopold Stieger zu Gast bei Andrea Hauer)

[2]  Siehe dazu das so häufig bemühte Zitat von Hermann Hesse: „…und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne…“.

[3] Siehe dazu Gronemeyer, M. (2000). Immer wieder neu oder ewig das Gleiche. Innovationsfieber und Wiederholungswahn. Darmstadt (Primus)

[4] Siehe Heinz, J. (2019): Und jedem Ende wohnt ein Zauber inne. Vom guten Geist des Endes und des Anfangs. . In: Der blaue Reiter - Journal für Philosophie, Stuttgart (Omega) Ausgabe 44, 2/2019, S.12

[5] Vgl. dazu van Dyk, S./Lessenich, S. (2009): „Junge Alte“: Vom Aufstieg und Wandel einer Sozialfigur. In: Van Dyk, S.; Lessenich, S. (Hrsg.): Die Jungen Alten: Analysen einer neuen Sozialfigur. Frankfurt am Main, New York: Campus, S. 11-48

[6] Höffe, O. (2019): Die Kunst des Alterns. In: Der blaue Reiter - Journal für Philosophie, Stuttgart (Omega) Ausgabe 44, 2/2019, S.45

[7] Vgl. dazu Sporket, M. (2011): Organisationen im demographischen Wandel. Alternsmanagement in der betrieblichen Praxis. Wiesbaden (Verlag für Sozialwissenschaften, Springer), S.231ff

[8] Eine systematische Vorgehensweise findet man bspw. bei Taudt, C./Gregor, H./Schroll-Decker, I. (2013): Wenn die Experten gehen…Was Organisationen und Unternehmen beim Weggang älterer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bedenken sollten. In: Blätter der Wohlfahrtspflege 3/2013, S.97-100

Bilder: pixabay

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