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"Teamreflexivität", mit professioneller Selbstbeobachtung zum High Performance Team

Jürgen Hamader,

Gedanken, theoretische Modelle und Erfahrungen zu Teamarbeit

Teamarbeit ist allgegenwärtig. Die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit zwischen Menschen ist in unseren komplexen und vernetzten Arbeitsprozessen für zunehmend mehr ArbeitnehmerInnen unabdingbar geworden. Nur noch in wenigen Nischen reichen Wissen, Fertigkeiten oder auch die Kapazität eines einzelnen aus, um die gewünschte bzw. geforderte Leistung erbringen zu können.

Genügte noch in den Anfängen der industriellen Revolution die Arbeitsteiligkeit an sich und damit einhergehende Spezialisierung des Einzelnen für die Steigerung der Effizienz der Leistungserstellung, so ist heute oft erst durch das erfolgreiche Zusammenspiel direkt interagierender Individuen und ihrer Teilleistungen überhaupt ein Ergebnis möglich. Damit dies auch noch mit Effizienz und Effektivität sowie für die Teammitglieder wertvoll und zufriedenstellend erfolgt, braucht es einige Voraussetzungen, um die sich Teams und deren Organisationen kümmern sollten.

Die Einsatzbereiche von Teamarbeit sind dabei heute nahezu unbegrenzt, egal ob sie unter dem Namen „Team“ oder auch anderer Synonyme dazu wie „Abteilung“ oder „Gruppe“ auftreten. Zur Anführung einiger Beispiele bin ich die in den letzten Monaten erlebten Teamsituationen aus meinem Beratungsalltag durchgegangen und kann dabei schnell die Vielfalt von Teams aufzeigen:

In den letzten Jahrzehnten wurde viel über die Bedingungen gelingender Teamarbeit geforscht und dazu hervorragende Modelle und Theorien entwickelt wie die bekannten Phasen der Teamentwicklung von Tuckman, der Teamrollenansatz von Belbin oder die Gruppendynamik von Schindler.

Ich selbst bin zum größten Teil meines Arbeitslebens in Teams sozialisiert worden und konnte viele Situationen von Teamarbeit miterleben und mitgestalten, gelingende und weniger gelingende. Viele der mir heute bekannten Modelle und Theorien zur Teamarbeit konnte und kann ich in der Rückschau als richtig und hilfreich erleben und habe sie damit auch zu schätzen gelernt. Müsste ich mich nun in der Beratung von Teams auf ein einziges dieser Modelle beschränken, dann würde ich das Modell der Teamreflexivität nach West (West, 1996) vorziehen.

Das Modell der Teamreflexivität

Dr. Michael A. West, Professor für Organisationspsychologie an der Lancester University schreibt dazu wörtlich: „As human beings we are blessed with the capacity to consciously reflect on and learn from our experiences. ... it is in this unique ability that we find the key to team success. By reflecting on their experiences of working together, teams can identify what works for them and what doesn´t. They can than use this information to improve performance by doing more of what works and less of what doesn´t. For this reason, teams that actively take time out to reflect on what they are doing are more effective than those that do not, be they coal-mining teams, television production teams or management teams.“ (West, 2004, Seite 152)

Nun ist dieser Gedanke weder neu noch besonders überraschend. In den japanischen Methoden des (übrigens sehr weit gefassten) „Kaizen“ – bei uns mehr bekannt unter dem Begriff „Kontinuierlicher Verbesserungsprozess“ – ist Reflexion bereits ein zentrales Element. Diese Prinzipien wurden mittlerweile zu verschiedenen Managementsystemen weiterentwickelt, behandeln oft das Kriterium des „Muda“ (jap. für Verschwendung) als zentrales Element und sind unabhängig der speziellen Situation von Teamarbeit.

West geht hier vielleicht ein entscheidendes Stück weiter und unterteilt die Reflexivität von Teams in die Dimensionen „Aufgabenreflexivität“ und „soziale Reflexivität“:

Die Auswirkung dieser beiden Dimensionen auf den Erfolg von Teams, dem Wohlbefinden der Teammitglieder und der „Lebensfähigkeit“ dieser Teams hat West empirisch erhoben und dabei folgende Erkenntnisse gewonnen:

TeamreflexivitaetNur Teams, die beide Dimensionen der Reflexivität pflegen, gelingt die Balance zwischen hoher Aufgaben-Effektivität und gutem Wohlbefinden der Teammitglieder. Beides zusammen ermöglicht den langfristigen Bestand von Teams („Fully functioning teams“). Bedenkt man dazu die notwendige Entwicklungszeit von Teams, um zu einer optimalen Zusammenarbeit zu kommen (Tuckman, Jensen, 1977), dann wird die Bedeutung der Langlebigkeit von Teams und der damit einhergehenden Stabilität der Teamzusammensetzung noch einmal verstärkt.

Fehlt eine der beiden Dimensionen der Reflexivität, wird es problematisch. Wird nur die soziale Reflexivität gepflegt und die Aufgabenreflexivität vernachlässigt, leidet die Aufgaben-Effektivität aber interessanterweise auch das Wohlbefinden der Teammitglieder. Solche „cosy-teams“ haben keine lange Lebensdauer.

Wird nur die Aufgabenreflexivität und keine soziale Reflexivität gepflegt, dann können solche Teams durchaus eine hohe Aufgaben-Effektivität erreichen. Das Wohlbefinden der Teammitglieder lässt aber zu wünschen übrig und die Lebensdauer ist (deswegen) auch nur begrenzt. Diese “cold efficiency teams“ können oft bei zeitlich begrenzten Aufgabenstellungen mit Projektcharakter beobachtet werden. Die Zielorientierung steht vormächtig im Vordergrund, wobei die Zieldimensionen ausschließlich auf die Aufgabenerfüllung fokussiert sind, sodass Fragen der Zusammenarbeit und ihre Auswirkung auf die Teammitglieder irrelevant werden. Die psychosozialen Folgen werden dann schnell mal als „Kollateralschäden“ verbucht.

Fehlen beide Dimensionen der Reflexivität, sind die Ergebnisse dieser „dysfunctional teams“ in jeder Hinsicht unbefriedigend.

Nicht unerwähnt soll an dieser Stelle bleiben, dass Teamreflexivität aus drei Schritten besteht:

Reflexivität ist also als Prozess zu verstehen und zu handhaben.

Wie kommt es nun überhaupt zu Reflexivität?

Reflexivität kann nun von „außen“ angeregt werden, aber auch von „innen“ initiiert werden.

Von „außen“ kommende Auslöser sind alle Irritationen zum bestehenden Gefüge der Zusammenarbeit:

Reagiert das Team auf diese Auslöser, hält es inne und beginnt rund um die auftretenden Phänomene Fragen zu stellen und Antworten für eine Verbesserung oder bei Erfolgen auch eine Etablierung zu suchen, dann verfügt das Team über Reflexivität.

Die Vorrausetzungen dafür sind wiederum vielfältig. Strukturelle Elemente wie vorhandene „Reflexionsräume“ (Zeit und Raum) aber auch die individuelle Geübtheit der Teammitglieder in Hinsicht auf Reflexion brauchen in Folge auch eine „Übung als Team“. „Teamkompetenz“ erscheint mir bis heute als der beste Begriff zu diesem Entwicklungsstand eines Teams. Kriz und Nöbauer definieren diesen Begriff als eine sich mit dem Fortbestand des Teams zu entwickelnde Kompetenz, die nicht „über Nacht“ oder mit der Geburt eines Teams schon durch die organisationale Zusammensetzung der Teammitglieder alleine gelingen kann (Kriz, Nöbauer, 2008, Seite 48ff). Reflexion ist zwar eine grundlegende Fähigkeit von Menschen, die aber wie jede andere Fähigkeit auch ständig gepflegt und weiter entwickelt werden muss, wenn man darin eine Meisterschaft entwickeln möchte.

Neben Auslösern von außen kann jedes Team aber auch regelmäßig abseits von zwingenden Situationen Reflexivität zur „Qualitätssicherung“ betreiben. Dieser supervisorische Ansatz ist vor allem im Sozialbereich etabliert und fixer Bestandteil der Strukturen. Eine Ausweitung auf andere „Branchen“ ist laufend zu beobachten, manchmal auch unter anderen Begriffen wie „Teamcoaching“ oder „Teamentwicklung“.

Und zu guter Letzt können auch Methoden der Evaluation mit diagnostischen Elementen hier hilfreich sein. Gute Erfahrungen haben wir in der letzten Zeit mit einem sehr einfachen aber effektiven „Fragebogen zur Arbeit im Team“ gemacht. Der „FAT“ liefert mit wenig Aufwand eine gute Diagnose der (Arbeits-)Situation im Team und indiziert eventuell erforderliche Weiterentwicklungen für gelingende Teamarbeit.

Zu diesem Instrument und anderen Methoden und Hilfsmittel zur Entwicklung einer Teamreflexivität werden wir auch in den nächsten Newslettern weitere Beiträge bringen.

Zusammenfassend kann gesagt werden: Das Modell der Teamreflexivität ermöglicht auch abseits von organisational implementierten (oder manchmal auch von oben verordneten) Entwicklungsinstrumenten im Sinne eines Selbstmanagements die Verantwortung für die Zukunft in die Hand zu nehmen. Zur Erreichung (oder auch Erhaltung) eines High Performance Teams sind diese intensive Form der Partizipation für die Ziele und Wege des Teams und dieses Vertrauen in die Ressourcen der Teammitglieder zur Veränderung oftmals vielversprechender und vor allem nachhaltiger als alle Interventionen von außen!

 

Jürgen Hamader, www.tao.co.at


Quellen:

Kriz, Willy Ch., Nöbauer, Brigitta: Teamkompetenz, Konzepte, Trainingsmethoden, Praxis. – Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 4. Auflage, 2008

West, Michael A.: Reflexivity and work group effectiveness: A conceptual integration. In M.A. West (Ed.), Handbook of work group psychology (pp. 555-579). Chichester: Wiley, 1996

West, Michael A.: The Secrets of Successful Team Management. – London: Duncan Baird Publishers, 2004

Tuckman, B.W., Jensen, M.A.C.: Stages of small group development revisited. In: Group and Organisation studies, 2, (419-427), 1977

 

Bilder: TAO

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