Fachbeiträge A-Z

"Killerphrasen" und "schwarze Rhetorik" im Alltag. Strategien und Interventionen bei mangelnder Argumentationsintegrität.

Peter Frenzel,

Wer das Denken nicht attackieren kann, attackiert den Denkenden. (A. Heller)

Im Laufe einer sich zuspitzenden Auseinandersetzung im Projektteam, meint Mitarbeiter X: „Ich bin mir sicher, dass ständig wiederholte Pauschalargumente in unserer Situation überhaupt nichts bringen. Das sind ja alles nur Behauptungen. Aber es ist halt immer schwierig, wenn man auf sehr unterschiedlichem inhaltlichen Niveau diskutieren muss.“

„Jeder hier weiß natürlich, dass man an deinen reichen Erfahrungsschatz nie heranreichen kann…“, antwortet der mit dieser Aussage adressierte Kollege mit deutlich ironischem Unterton,„…bemerkenswert ist dabei nur, dass dir eigentlich nie jemand wirklich zustimmt, obwohl Du doch seit Jahren schon dasselbe sagst!“

„Okay, dann erkläre uns doch einmal kurz und bündig, wie du es bis morgen schaffen willst unsere Kunden von der Notwendigkeit der Budgetaufstockung zu überzeugen! Man hört ja immer wieder, dass du dich für einen Alleskönner hältst. Ich bin ja schon lange neugierig, wie sich deine häufigen Seminarbesuche im Kundenkontakt konkret auswirken.“

Mitarbeiter Y, nimmt auf diese Bemerkung hin seine Unterlagen, erhebt sich, verlässt den Sitzungsraum und wendet sich mit resignativer Gestik im Hinausgehen noch an die anderen Projektmitarbeiter und Kolleg/inn/en: „Seht ihr, genau wie es ja auch vorhergesagt wurde, - wenn sich wieder einmal der Geltungsdrang unseres Altvorderen ungehemmt entfaltet, kann man eben keine Lösungen finden. Ich wünsche Euch noch viel Spaß und bin heilfroh, dass die anstehende Entscheidung nicht unmittelbar in meinem Verantwortungsbereich liegt!

Es steht zu befürchten, dass die meisten Mitarbeitenden wie auch Führungskräfte ähnliche Situationen aus ihrem jeweiligen Arbeitsalltag nur allzu gut kennen.

Untergriffige und abwertende Kommunikationsbeiträge, mehr oder weniger offen ausgetragene Konflikte,verursachen nicht nur einen belastenden Arbeitsalltag, vermindern Leistungsfreude und trüben das Betriebsklima und sind deshalb schon ethisch fragwürdig, sie ergeben auch oft unterschätzte (weil leider nur schwer zuzuordnende) Folgekosten.

Nach einer seriösen Berechnung eines österreichischen Wirtschaftstreuhänders und Steuerberaters ergeben Killerphrasensolcherart entstehende Störungen häufig „Lähmungen“ betrieblicher Abläufe, (un)gewollte Pannen, Leistungsabfall oder -verweigerung und erhebliche Umsatz- und Deckungsbeitragsverluste. Entlang eines Beispiels, in dem zwei Geschäftsführer eines österreichischen Unternehmens 25% ihrer Leistungszeit in gegenseitige Belauerung, Intrigen und Grabenkämpfe „investieren“, ergibt sich ein realistisch anzunehmender Ertragsentgang von EUR 110.000,- im ersten Krisenjahr.

Zitat: „Durch Kommunikationsfehler, Pannen und Fehlleistungen sind einige Aufträge verloren gegangen. Schaden dadurch zusätzlich ca. EUR 90.000,- Damit wird klar: Einer muss gehen. Wenn die Entscheidung fällt, werden samt Rechtskosten, Imageschaden und „Golden Handshake“, noch weitere EUR 100.000,- in den Sand gesetzt. Ein wertvoller Geschäftsführer ist verloren. Konfliktkosten insgesamt EUR 300.000,-.“ (Derfler, 2016)

Wie auch die eigenen Erfahrungen als Berater zeigen: Konfliktsituationen nicht ernst zu nehmen kann sich (für viele mehr oder weniger direkt Betroffene) äußerst nachteilig auswirken.

Entscheidend ist dabei nicht zuletzt bereits in den ersten kurzen(!) Momenten, in denen die Kommunikationsqualität zu wünschen übrig lässt, aufmerksam zu beobachten und nötigenfalls schon früh entsprechende Interventionen zu setzen. Immer wieder konnten wir in unseren Konfliktklärungsaufträgen erkennen, dass (meist in erster Linie durch strukturelle Gegebenheiten „begünstigt“) die letztlich zugrundeliegenden Anlasssituationen oft kurze Momente waren, in denen durch unfaire Argumentation, unbedachte (oder auch beabsichtigte) Kränkungen eine störende Konfliktdynamik in Gang gesetzt wurde. Zunehmende Verhärtung, polemische Zuspitzungen und soziale Ansteckung führten dann zu einem Problemszenario, das enorme Energieverluste, psychisches Leiden(!) und wirtschaftlichen Schaden bewirkte.

Konflikte, Kontroversen und Auseinandersetzungen in durchaus auch leidenschaftlich geführten Wechselreden sind alltäglich und nicht zuletzt oft Quelle für Entwicklung und Innovation. Wie aber - so lautet die entscheidende Frage - lässt sich in einer derartigen Situation hilfreich und in einer integren Weise argumentieren?

Dazu ist vorerst eine Klärung nötig:

Was lässt sich unter einer „Argumentation“ verstehen?

Eine allgemein akzeptierte Definition lautet: „In einer Argumentation wird versucht, eine strittige Frage (Voraussetzung) durch partner-/zuhörerbezogene Auseinandersetzung (Prozess), einer möglichst rational begründeten Antwort (Ziel) von möglichst kooperativer, transsubjektiver Verbreitung (als weiteres Ziel) zuzuführen.“ (Groeben/ Schreier/ Christmann 1993)

An „strittigen Fragen“, die eine Voraussetzung für Argumentation darstellen, herrscht erfahrungsgemäß weder privat noch beruflich Mangel. Wesentlich ist dabei, dass es hinsichtlich eines Meinungsgegensatzes unterschiedliche Überzeugungen gibt und (!) dass ein Interesse daran (oder eine Notwendigkeit dafür) besteht, diese Meinungsverschiedenheit zu klären. Die oben erwähnte „Partnerbezogenheit“ zeigt sich darin, dass die Beteiligten auf die Meinung der jeweils anderen Argumentationsteilnehmenden direkt oder indirekt Bezug nehmen, indem Beiträge aufgegriffen, ergänzt, kommentiert, usw. werden. Ziel ist dabei, die eigene Position so zu begründen, dass sie für die anderen akzeptabel wird und übernommen werden kann (Merkmal der „transsubjektiven Verbreitung“ - verstanden als Überführung einer subjektiv vertretenen in eine „transsubjektiv“ akzeptierte Position - „Kooperativität“).

Damit ist das Grundprinzip des Argumentieren schlechthin angesprochen: die Begründung. Der oder die Sprechende versucht, die eigene Meinung an andere Aussagen „anzubinden“ und sie auf diese Weise für die Anderen akzeptabel zu machen. Soweit einige grundlegende Definitionen von Argumentation, die vorerst einmal rein deskriptiv verfasst sind. (vgl. Groeben/ Christmann/ Mischo 1996)

Die wesentliche Frage in unserem Zusammenhang lautet darüber hinausgehend:

Welche eingesetzten Mittel sind in einem konkreten Argumentationsverlauf vernünftig, lassen befriedigende Ergebnisse erwarten und sind zudem in einer integren Weise verfasst?

Die grundlegendsten Kriterien dafür werden wohl darin zu finden sein, inwieweit die jeweilige Argumentation erstens rational ist und wie sehr es (dadurch) zweitens gelingt, die angestrebte hörerseitige Akzeptanz möglichst kooperativ zu erreichen. „Rationale“ Begründungen sind dann am ehesten solche, die es dem oder der Zuhörenden erlauben, Einsicht in die vorgebrachten Gründe zu gewinnen, indem sie weder unsinnig noch motivational verzerrt sind. (Groeben et al. 1993)

In einem solchen Fall, werden die zuhörenden Gesprächspartner/innen die vorgebrachten Begründungen gemäß dem „eigentümlichen Zwang des besseren Arguments“ (Habermas 1984) wohl oder übel akzeptieren müssen. Damit ist keineswegs ein absoluter Wahrheitsanspruch unterschwellig formuliert, sondern lediglich darauf hingewiesen, dass eine ausreichende Plausibilität im aktuell gegebenen (z.B. historischen) Kontext gegeben sein muss. Die Argumente sollten, trotz der unvermeidbaren Perspektivität jedweder Aussage, ein ausreichendes und für den anderen nachvollziehbares Lösungspotential für aufgeworfene Problemstellungen aufweisen („Viabilität“) (vgl. Glasersfeld 1997), deshalb idealerweise ausreichend mit allgemein akzeptierten Rahmenwissen verbunden sein und die berechtigten Interessen der anderen teilnehmenden Personen berücksichtigen (siehe dazu die in der obigen Definition formulierte „Kooperativität“).

Ein solcherart hier nun präskriptiv verfasster Argumentationsbegriff, skizziert damit ein soziales Verfahren, dessen Ziel es ist, strittige Fragen zu klären, indem durch Entwicklung und Abwägen von möglichst vernunftorientierten Begründungen gemeinsame Vereinbarungen erzielt werden können, die von möglichst vielen Teilnehmenden vor Hintergrund ihrer jeweiligen Interessen ausreichende Akzeptanz finden.

Damit sind in den beiden Leitwerten „Rationalität“ und „Kooperativität“ Kriterien gefunden, die uns eine Grundlage für die ethischen Beurteilungen von Argumentationsbeiträgen und -mustern bieten.

Beachtet werden sollte dabei noch, dass der Versuch, maximale Rationalität oder maximale Kooperativität zu erreichen, mitunter zu Problemen führen kann. Wie in vielen Lebensbereichen, so zeigt sich auch hier, dass eine Ausgewogenheit anzustreben ist, wenn man eine kalte Vernünftigkeit vermeiden will, die womöglich menschliche Grundbedürfnisse als nicht wesentlich (weil nicht „zur Sache gehörig“) erachtet. Übersieht man andererseits durch eine übertriebene Rücksichtnahme auf die Interessen des anderen, erstens eigene berechtigte Ansprüche oder versucht durch hypertrophe Bemühungen die Akzeptanz des Anderen zu erreichen, werden bedeutsame Sachaspekte für eine gelingende und nachhaltig wirksame Lösung auf der Strecke bleiben.

Die beiden so bedeutsamen Zielperspektiven für gelingende Gespräche sollten einander also in einem dialektisch verstandenen Sinn wechselseitig korrigieren und ergänzen. Die Rationalität von Lösungen sollte nicht auf Kosten der berechtigten Interessen der Beteiligten gehen, die Interessen der Beteiligten sollten nicht auf Kosten der Rationalität überbetont werden. Um all das erfolgreich vermeiden zu können, steht uns mittlerweile ausreichend fundierte Literatur zur Verfügung, in der sich sehr klare und alltagstaugliche Bedingungen formuliert finden, die gegeben sein sollten, um vernünftige, lösungsorientierte und kooperative Gespräche trotz strittiger Fragen in privatem wie auch beruflichen Kontext führen zu können.

Im Wesentlichen finden sich dort 4 bedeutsame Bedingungen:

    1. Formale Richtigkeit (Die Argumente folgen z.B. den allgemein gültigen Regeln der Logik.)
    2. Inhaltliche Richtigkeit / Aufrichtigkeit (Nur solche Überzeugungen werden zum Ausdruck gebracht, die man selbst für richtig erachtet.)
    3. Inhaltliche Gerechtigkeit (Die Argumente sollten den anderen Teilnehmenden gegenüber inhaltlich gerecht sein.)
    4. Prozedurale Gerechtigkeit / „Kommunikativität“(Der Gesprächsprozess selbst sollte so gestaltet sein, dass die einzelnen Teilnehmenden in gleicher Weise die Möglichkeit vorfinden, gemäß ihren eigenen Überzeugungen an einer gemeinsamen Antwortfindung mitzuwirken.)

Wie kommuniziere ich richtigWie sich in der Praxis beobachten lässt, ist davon auszugehen, dass wir alle zumindest intuitiv diese hier vorfindbaren Ansprüche kennen und insofern sowohl an uns selbst als auch an die anderen (mehr oder weniger explizit) die Anforderung stellen, die daraus sich ergebenden Bedingungen einzuhalten.

So lässt sich die in allen lösungsorientierten Gesprächen erhoffte „Argumentationsintegrität“ als eine wechselseitige Verpflichtung definieren, nichts zu tun, was die oben kurz erwähnten Argumentationsbedingungen verletzt; unintegres Argumentieren stellt demgegenüber einen wissentlichen Verstoß gegen diese Gesprächsbedingungen dar. (Groeben et al. 1993)

Welche Sprechhandlungen sind nun typischerweise als eindeutige Verstöße gegen die hier vorgestellten Argumentationsbedingungen zu werten?

Dazu wurden - ausgehend von empirischen Untersuchungen (Schreier/ Groeben/ Mlynski 1993) - 4 Merkmale eines unintegren Argumentierens formuliert, die dann in einem weiteren Differenzierungsschritt in 11 typischen Ausprägungen dargestellt wurden (siehe unten).

Ausgehend von (und komplementär zu) den oben formulierten 4 Bedingungen sind folgende Vorgehensweisen in Gesprächen zu unterlassen:

Die erwähnten 11 typischen Ausprägungen sind dabei

(s. Schreier 1994 und TAO-Skripten):

Die Stringenzverletzung

Anforderung: Unterlasse es, absichtlich in nicht stringenter Weise zu argumentieren!

Erläuterung: Man sollte nicht absichtlich falsch argumentieren, indem bspw. Argumente oder Schlüsse verwendet werden, von denen man selbst recht genau weiß, dass sie im jeweiligen Argumentationszusammenhang unzulässig sind. Beispielhafte Strategien dafür sind unzulässige Verallgemeinerungen („ Wenn da jeder mit so einem Anliegen daherkommen würde…“), Fehlschlüsse („Aha, wenn Sie das nicht machen wollen, dann beabsichtigen Sie also das Projekt scheitern zu lassen?!“), Umkehrschlüsse oder Leerformeln.

Die Begründungsverweigerung

Anforderung: Unterlasse es, deine Behauptungen absichtlich nicht oder nur scheinbar zu begründen!

Erläuterung: Dieser Standard ist dann verletzt, wenn Gesprächsteilnehmende versuchen, ihren Begründungspflichten auszuweichen, indem sie auf entsprechende Aufforderungen des Gegenübers entweder gar keine oder nur scheinbare Begründungen geben. Beispielhafte Strategien dafür sind ein bloßer Autoritätsverweis („Das ist eben letzter Stand der Wissenschaft!“ oder „Der Markt verlangt eben ein solches Vorgehen!“), bloßer Gefühlsappell („In diesem Punkt müssen Sie mir eben vertrauen!“), reine Behauptungswiederholung („Ich sage es noch einmal in aller Deutlichkeit, es ist eben ganz einfach so!“).

Die Wahrheitsvorspiegelung

Anforderung: Unterlasse es, Behauptungen als objektiv wahr auszugeben, von denen du weißt, dass sie falsch oder nur subjektiv sind!

Erläuterung: Dieser Standard wird dann nicht eingehalten, wenn Personen ihre Behauptungen mit einem Geltungsanspruch vorbringen, von dem sie wissen, dass er in dieser Form nicht aufrecht erhalten werden kann - sei es, weil die Behauptungen unwahr oder aber unzureichend fundiert sind. Beispielhafte Strategien dafür sind Bestreiten oder Erfinden von Tatsachen („Die Erfahrung hat schon hunderte Male bestätigt, dass es eben nur in dieser Weise wirklich funktioniert.“), Vorbringen von Halbwahrheiten („Jeder, der so etwas behauptet, kann eigentlich nur einen unreflektierten Machtanspruch verfolgen!“), Verbreitung von Gerüchten („Sie wollten ohnehin nie wirklich mitmachen!“)

Die Verantwortlichkeitsverschiebung

Anforderung: Unterlasse es, Verantwortlichkeiten absichtlich ungerechtfertigt in Abrede zu stellen, in Anspruch zu nehmen oder auch auf andere (Personen oder Instanzen) zu übertragen!

Erläuterung: Dieser Standard ist dann verletzt, wenn Gesprächsteilnehmende versuchen, der Verantwortlichkeit für eigene Handlungen und den daraus resultierenden Anforderungen zu entgehen. Nie sollte man eigene Verantwortlichkeiten und die daraus resultierenden Anforderungen nur anderen Personen zuschieben. Der Standard ist außerdem im komplementären Fall verletzt, wenn Gesprächsteilnehmende zum Beispiel versuchen, Handlungen und die daraus resultierenden Verdienste oder Erfolge fälschlicherweise sich selbst zuzuschreiben. Beispielhafte Strategien dafür sind die Suche nach Sündenböcken („Ich konnte es einfach nicht erledigen, weil ich von Kollege XY absichtlich nicht ausreichend informiert wurde.“), Fehler vertuschen, Verweis auf widrige Umstände (Ausreden - „Ich habe nie etwas davon erfahren, wie konnte ich denn wissen, dass es wichtig gewesen wäre?“) oder eben einen Erfolg für sich verbuchen, der eigentlich nicht wirklich auf eigene Leistungen zurückgeht.

Die Konsistenzvorspiegelung

Anforderung: Unterlasse es, absichtlich nicht oder nur scheinbar in Übereinstimmung mit deinen sonstigen (Sprech-) Handlungen zu argumentieren!

Erläuterung: Dieser Standard wird verletzt, wenn Gesprächsteilnehmende bewusst Inkonsistenzen in ihren (Sprech-)Handlungen in Kauf nehmen - sei es zwischen ihren Äußerungen zu verschiedenen Zeitpunkten, zwischen ihren Äußerungen und ihren Handlungen, zwischen ihren Beurteilungen von und Anforderungen an verschiedene(n) Personen usw. -, dabei wird gleichzeitig versucht, nach außen hin den Eindruck einer in sich konsistenten Handlungsweise zu vermitteln. Beispielhafte Strategien: So-Tun-Als-Ob („Ich habe noch nie derartiges gesagt!“; „Ja, ich habe mich nicht gemeldet, aber nur deswegen, weil ich auf unser gutes Klima achte und ich dich deshalb nicht unter Druck setzen wollte.“), Ausnahmen aufstellen („Obwohl ich sonst immer loyal bin, muss hier einmal der Zweck die Mittel heiligen.“).

Die Sinnentstellung

Anforderung: Unterlasse es, fremde oder eigene Beiträge oder gegebene Sachverhalte absichtlich sinnentstellend wiederzugeben!

Erläuterung: Dieser Standard soll ausschließen, dass Gesprächsteilnehmende die Bedeutung früherer Argumentationsbeiträge oder externe Sachverhalte absichtlich und damit wider besseren Wissens im Dienste ihrer persönlichen Interessen verfälschen. Beispielhafte Strategien: Übertreiben, Pauschalurteile („Wenn man in dieser Weise vorgeht, kommt es unausweichlich zu Misserfolgen.“), Ausweichen ins Allgemeine („Aha, das heisst also, ab sofort sollen wir alle ..immer… nie… so vorgehen?!“; „Wenn da jetzt jeder mit so einem Anliegen daherkommt .!“; „Du hast damals ja so getan, als würdest du unter gar keinen Umständen…“).

Die Unerfüllbarkeit

Anforderung: Unterlasse es, und sei es auch nur leichtfertig, für solche (Handlungs-, Auf-) Forderungen zu argumentieren, von denen du weißt, dass sie vom Gegenüber nicht befolgt werden können!

Erläuterung: Man sollte an andere Personen keine Aufforderungen richten, von denen man schon weiß, dass eine Befolgung entweder unmöglich oder unzumutbar ist. Beispielhafte Strategien wären die Forderung nach unmöglichen Beweisen oder zwei sich wechselseitig ausschließende Forderungen zu stellen („Dann zeigen Sie mal, dass Sie das bis morgen noch hinbringen!“; „Sie müssen nicht immer alles ganz genau so machen, wie ich es anordne!“ In diesem (zweiten) Falle handelt es sich um eine klassische „Double-Bind-Aussage“ (vgl. Watzlawick/Beavin/Jackson 2011), weil sich eine lähmende, doppelte Bindung an eine letztlich paradoxe Anforderung ergibt. Die Unmöglichkeit es richtig zu machen, indem man entweder durch die Befolgung die Anordnung missachtet oder umgekehrt durch einen Widerspruch die Anordnung befolgt, ergibt eine meist als äußerst unangenehm erlebte Illusion von Alternativen).

Die Diskreditierung

Anforderung: Unterlasse es, andere Gesprächsteilnehmende absichtlich oder leichtfertig zu diskreditieren!

Erläuterung: Dieser Standard ist dann verletzt, wenn Gesprächsteilnehmende Beiträge vorbringen, die sich nicht auf die Sache beziehen, sondern in ungerechtfertigt-herabsetzender Weise gegen die Person des Gegenübers gerichtet sind. Beispielhafte Strategien: Lächerlich- Machen, Absprechen der Argumentationsfähigkeit („Das mag theoretisch ja einleuchtend sein, man kann sowas aber wohl nur dann gutheißen, wenn man fern der Praxis steht.“; „Ich denke eine solche Beurteilung sollten sie den Experten überlassen!“), Redlichkeit anzweifeln, Rufmord, Vorwürfe früherer Fehler und Versäumnisse, Psychologisieren („Sie wollen das nur deshalb nicht akzeptieren, weil sie immer noch gekränkt sind“).

Die Feindlichkeit

Anforderung: Unterlasse es, deine Gegner in der Sache absichtlich als persönliche Feinde zu behandeln!

Erläuterung: Der Standard soll ausschließen, dass Gesprächsteilnehmende ihr Gegenüber in grob beleidigender oder anderweitig offen feindseliger Weise behandeln. Beispielhafte Strategien: Beleidigungen, Provokationen, ungehörige Fragen stellen, Einschüchterungsversuche durch Grobheiten („Wir sind ja hier nicht im Kindergarten!“).

Die Beteiligungsbehinderung

Anforderung: Unterlasse es, absichtlich in einer Weise zu interagieren, die das Mitwirken anderer Teilnehmer/innen an einer Klärung behindert!

Erläuterung:

Dieser Standard ist dann verletzt, wenn Gesprächsteilnehmende versuchen, andere Teilnehmer/innen bei der Rezeption oder Produktion von Argumenten zu behindern, oder wenn der Entscheidungsspielraum anderer Teilnehmer/innen eingeengt wird. Beispielhafte Strategien: „Killerphrasen“ (nähere Ausführungen dazu siehe unten), Vernebelung, Tabuisieren („Das kann jetzt aber unmöglich unser Thema sein, kommen wir jetzt endlich zur Sache!“), gehäufte Verwendung von Fachausdrücken/Fremdwörtern.

Der Gesprächsabbruch

Anforderung: Unterlasse es, die Argumentation ungerechtfertigt abzubrechen!

Erläuterung: Der Standard soll ausschließen, dass Gesprächsteilnehmende die Auseinandersetzung über ein sachlich relevantes Thema absichtlich zu umgehen versuchen. Beispielhafte Strategien: Dringendes vorschieben („Wir haben jetzt wirklich andere Probleme!“), Ablenken („Sehr viel wichtiger ist es doch, folgendes zu besprechen …“), Rückzug auf scheinbar Ausdiskutiertes („Das haben wir längst schon besprochen, da gibt es nichts mehr weiter anzumerken.“).

Bedeutsam scheint noch der Hinweis, dass das bloße Vorliegen einer argumentativen Regelverletzung noch nicht ausreicht, jemanden einem Unintegritätsvorwurf auszusetzen. Integrität ist erst dann als fehlend zu bemängeln, wenn jemanden (zumindest intuitiv) bewusst ist, dass er oder sie eine solche Regelverletzung begeht. Sollte eine wissentliche und absichtliche Regelverletzung vorliegen, dann ist der Vorfall eindeutig kritisch zu bewerten. Es gilt also, genau wie in der Rechtssprechung zwischen „objektiven Tatbestandsmerkmalen“ (jemand nimmt einen fremden Mantel von der Garderobe eines Restaurants) und den „subjektiven Tatbestandsmerkmalen“ (der Mantel wird in voller Diebstahlsabsicht mitgenommen) zu unterscheiden. Es wird wohl in den meisten Situationen nicht allzu schwer sein, durch genaue Beobachtung und Empathie herauszufinden, ob jemandes Intentionen bewusst in eine ethisch fragwürdige Richtung weisen. Absichtlichkeitsindikatoren sind dabei bspw. die Häufigkeit der geäußerten Abwertungen, eine emotionalisierende Sprechweise, der „Unterton“ und - besonders „verdächtig“ - die eher indirekte (und damit verschleiernde) Art und Weise der Standardverletzung.

Liegen keinerlei Entschuldigungsgründe vor, dann gilt es entsprechende Gegenmaßnahmen argumentativ zu ergreifen, will man negative Dynamiken vermeiden und damit das Erreichen einer rational-kooperativen Lösungsfindung erschweren wenn nicht gar verhindern.

Eine der vermutlich häufigsten und wohl auch unangenehmsten Erscheinungsformen mangelnder Integrität im Rahmen von Problemlösungsgesprächen ist sicher die (mehr oder weniger unterschwellige) Negativbewertung der Gesprächspartner, die im allgemeinen Sprachgebrauch häufig als

„Killerphrasen“

(als Begriff vermutlich zurückgehend auf Clark, 1985) bezeichnet werden. Darunter sind zumeist pauschale und abwertende verbale Angriffe in Diskussionen zu verstehen, die nicht am Sachthema orientiert sind, sondern sich auf die Person des Gegenüber, seine (vermuteten) Eigenschaften und persönlichen Merkmale oder sein Verhalten richten (siehe „Diskreditierung“). Typischerweise wird zu solchen „Manövern“ dann gegriffen, wenn triftige Sachargumente fehlen. Bei erlebter sachlicher Unterlegenheit wird dann mittels sozialer Dominanz versucht „Oberhand“ zu erlangen.

Wie oben schon gezeigt wurde, sind Killerphrasen damit häufig Scheinargumente, die dazu dienen, Vorstellungen und Ideen des anderen als ungeeignet oder gar unberechtigt darzustellen, ohne dass diese Bewertung direkt ausgesprochen wird. Diese Form des abwertend-konfrontativen Argumentierens, die in erster Linie dorthin zielt, den anderen als Person herabzusetzen, ihn oder sie zu verunsichern, bloßzustellen oder mundtot zu machen, äußert sich in einer unangenehmen Häufung von potentiell image-bedrohlichen Äußerungen, kränkenden Anzweifeln der moralischen Glaubwürdigkeit des Anderen oder auch in einer Entwertung der Selbstdefinition des Gegenübers.

Neben den oben ausführlich dargestellten Erscheinungsformen üblicher Regelverletzungen lassen uns

4 wesentliche Merkmale die typischen „Killerphrasen“

schnell erkennen:

Wie auf alle Formen möglicher Verletzungen der Argumentationsintegrität sollte auch auf „Killerphrasen“ unbedingt reagiert werden, weil sie sonst wiederholt eingesetzt werden, indem gewissermaßen ein „Freibrief“ ausgestellt wird wiederholt so zu handeln, sich dann solche Prozesse erfahrungsgemäß meist auch noch verstärken, in beruflichen Situationen sich auf Kosten wirklich brauchbarer Ergebnisse auswirken, Akzeptanzprobleme und dysfunktionale Konfliktdynamiken hervorrufen und schließlich die Arbeitszufriedenheit erheblich beeinträchtigen.

Sollten sich irgendwelche Formen der Verletzung von Argumentationsintegrität gar als eine Art „Gruppennorm“ innerhalb eines Arbeitssystems etablieren, wird es zunehmend schwierig kreative und lösungsorientierte Gruppengespräche erfolgreich zu verwirklichen. Gelingt es bspw. nicht soziales Dominanzgehabe auf die sachlich relevante und zielorientierte Ebene zurückzuführen, sind ernsthafte (Motivations-)Probleme und in weiterer Folge bedeutsame Schwierigkeiten bei der Bewältigung betrieblicher Herausforderungen zu erwarten (siehe oben).

Wie kann man also jemandem, der Regelverletzungen bewusst begeht, unmissverständlich klarmachen, dass er oder sie nur mit einem integrem Argumentieren dauerhaft etwas erreichen kann?

Hilfreiche Reaktionen auf Killerphrasen

Wie unsere Erfahrungen aus der Praxis (Beratung, Mediation, Paar- und Familientherapie, …) zeigen, stellt eine tatsächlich integre Argumentation, wie sie hier in kurzen Zügen skizziert wurde, eine unverzichtbare Voraussetzung für nachhaltig gelingende Lösungsfindungen dar. Nur wenn Argumente verständlich, rational nachvollziehbar und glaubwürdig formuliert werden und zudem der situative Kontext sowie die Bedürfnisse, Erfahrungen, verschiedene Erwartungen und auch Grundüberzeugungen der Gesprächsteilnehmenden Berücksichtigung finden, können wir uns trotz - oder besser wohl insbesondere entlang - strittiger Fragen als gemeinsam Lernende weiterentwickeln.

 Wie gestalte ich Gespräche richtig

 Peter Frenzel, www.tao.co.at


Literatur:

Clark, C.H. (1985): Brainstorming. The Dynamic New Way to Create Successful Ideas. 1985

Derfler, P. (2016): Was kosten Konflikte? Internet: http://www.gwm.or.at/news/per_saldokosten_ von_konflikten.pdf (abgerufen am 1.2.2016)

v. Glasersfeld, E. (1997): Radikaler Konstruktivismus. Frankfurt (Suhrkamp) 1997

Groeben, N. / Schreier, M. / Christmann, U. (1993): Fairness beim Argumentieren: Argumentationsintegrität als Wertkonzept einer Ethik der Kommunikation. Linguistische Berichte 147 (S. 355-382). Opladen: Westdeutscher Verlag, 1993

Groeben, N. / Christmann, U. / Mischo, C. (1996): Argumentationsintegrität: Die Entwicklung eines Trainings zum Umgang mit unintegrem Argumentieren. Bericht Nr. 105, Arbeiten aus dem Sonderforschungsbereich 245 „Sprache und Situation“ (Psycholog. Institut - Universität Heidelberg) ISSN 0941-990X, 1996

Habermas, J. (1984): Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns. Frankfurt (Suhrkamp) 1984

Rosenberg, M. (2007): Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens. Paderborn: Junfermann, 6. Auflage 2007

Schreier, M. / Groeben, N. / Mlynski, G. (1994): Argumentationsintegrität: Der Einfluß von Valenz, Indikatoren subjektiver Tatbestandsmäßigkeit, (Un-)Höflichkeit auf die Diagnose und Thematisierung argumentativer Umintegrität. Arbeiten aus dem Sonderforschungsbereich 245 „Sprache und Situation“ (Psycholog. Institut - Universität Heidelberg) Bericht Nr. 68, 1994

Schreier, M. (1994): Standards der Argumentationsintegrität, in: Gerhard Blickle: Kommunikationsethik im Management. Argumentationsintegrität als personal- und organisationspsychologisches Leitkonzept. Verlag Wissenschaft und Forschung, Stuttgart, 1994, S. 17-19

Watzlawick, P. / Beavin, J.H. / Jackson, D. (2011): Menschliche Kommunikation: Formen, Störungen, Paradoxien. 12. Aufl., Bern (Huber) 2011


Fotos und Bilder: Fotolia und TAO

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