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Markierungen (*) - Über Autorität, Freiheit und Verantwortung in der Pandemie

(*) erschienen in Zeitschrift „Supervison. Mensch-Arbeit-Organisation“ Heft 4/2022, (Jg. 40): Orientierungslauf – Autorität heute. Gießen (Psychosozial-Verlag), S.44-45;

Viele konnten es in Prä-Covid-Zeiten schon nicht mehr hören, das Gerede vom Schwinden oder gar Verschwinden von Autoritäten, vom Verlust tradierter Bezugssysteme, von den auf der Zeitachse sich enorm verdichtenden Anforderungen das emergierende Vakuum wieder mit etwas Gehaltvollem füllen zu müssen, um einem unkontrollierten, breitflächigen gesellschaftlichen Driftprozess zumindest eine Richtung zu geben, die sich weniger nach Chaos und Unordnung anfühlt. Und jetzt?

Wir leben bekanntlich nicht mehr in Prä-Covid-Zeiten, nach Meinung vieler Expert:innen aber auch noch nicht im Post-Covid-Zeitalter, eine Benennung übrigens, die sich vermutlich nicht durchsetzen wird, suggeriert sie doch so etwas wie ein trennscharfes Ende eines vielschichtigen, tiefgreifenden Prozesses – um es pointiert auszudrücken: Nach-Covid ist eben nicht Vor-Covid!

Wie also muss es jenen nun ergehen, die nach über zwei Jahren Pandemie-Erfahrung eine abermalige Beschleunigung und flächige Ausweitung soziologischer Driftungen mit ungewissen Zielvektoren wahrnehmen und in den eigenen Erlebensbezug vordringen lassen? Das führt uns früher oder später zur Frage (zurück), wie viel Autorität der Mensch in der Postmodere „braucht“ um ausreichend Orientierungsmarkierungen für sich generieren zu können um der Gefahr der Proteophobie zu entkommen ohne sich der Fixeophobie (Zygmunt Baumann) kampflos ergeben zu müssen.

Die Covid19-Pandemie hat zweifelsfrei die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass weitere – vermeintliche oder real noch existierende - Orientierungsgrößen eingeebnet oder zumindest massiv in die Defensive gedrängt wurden. Als Beleg dieser These sollen an dieser Stelle lediglich zwei Entwicklungsstränge genannt werden: Latente Wissenschaftsskepsis wurde in wachsenden Kreisen durch mehr oder weniger offen zur Schau gestellte Wissenschaftsfeindlichkeit abgelöst. Expertisen, also von fachkundigen Menschen vorgetragene Elaborate stehen plötzlich auf gleicher Glaubwürdigkeitsstufe wie Aussagen, die sich „aus dem inneren Selbst“, der vermeintlich „einzig wahren Quelle“ erschließen. All das natürlich nicht ohne Gegenwehr reflektierter, bei Sinnen gebliebener Zeitgenoss:innen.

Als zweiter, nicht minder beunruhigender Beleg kann die in regelmäßigen Umfragen gemessene weiter fortschreitende Erosion von Ver- und Zutrauen in politische Autoritäten angeführt werden. Es sei betont, dass das nicht nur sinkende oder regelrecht abstürzende Beliebtheitswerte von Gesundheitsminister:innen in westlichen Demokratien betrifft, sondern generell das Verhältnis der Bevölkerung zu ihren politischen Eliten. Dass derartige Prozesse auch reversibel sind, müssen wir wohl mit dem Verweis, dass wieder einmal der Wunsch der Vater des Gedankens sei, mehr oder weniger demütig annehmen.

Was aber tritt denn nun an die Stelle schwindender Autoritäten (sofern wir diese Frage als zulässig im Sinne von nicht zu mechanistisch gedacht betrachten wollen)? Geht es darum, einer gewissen sich verbreitenden Ohnmacht mit einem an sich verständlichen und durchaus legitimen Wunsch nach mehr Selbstermächtigung zu begegnen? Ist es nicht vielmehr sogar Zeit der vielbeschworenen Freiheit endlich final zum Durchbruch zu verhelfen? Schön wär´s!

Es wird wohl kaum ein Begriff seit Pandemiebeginn so geschunden, abgenutzt und missbraucht worden sein wie der der „Freiheit“, insbesondere der individuellen, der – wenn Sie so wollen – privaten Freiheit. Lassen Sie uns das am Beispiel der individuellen Entscheidung, sich gegen die Folgen der Infektion mit dem Coronavirus impfen zu lassen, betrachten. Die österreichische Bioethikkommission, ein im Bundeskanzleramt angesiedeltes Expert:innengremium, legt sich in seiner Stellungnahme vom 27.10.2021 unter dem Titel „Eine Pandemie ist keine Privatsache“ unmissverständlich fest:  „Sich nicht impfen zu lassen, obwohl es für eine Person medizinisch möglich wäre, bedeutet daher insgesamt, sich einem solidarischen Akt zu entziehen, obwohl man gerade in der COVID-19-Pandemie in vielfältiger Weise selbst Nutznießer gesellschaftlicher Solidarität ist“. Deutlicher kann das Verhältnis von Freiheit zu Verantwortung wohl nicht mehr ausgedrückt werden.

Folgt man den Aufrufen jener sich zunehmend radikalisierenden, lautstarken Minderheit, die sich dem Diktum von Freiheit im Rahmen von Verantwortung nicht anschließen will, dann kommen wir nicht umhin sie zu vergegenwärtigen, die neuen (und doch auch schon so alten) Geister, die auf mehr oder wenig trotzigen Schildern auf den Anti-Maßnahmen-Demos vor sich hergetragen werden: Esoterik-Affinität, Glaube an Verschwörungsmythen, Ablehnung und Verhöhnung von Demokratie gepaart mit autoritärem, nicht selten rechtsradikalem bis faschistischem Gedankengut und seit dem Ausbruch des russischen Aggressionskrieges gegen die Ukraine - man sehe und staune - triefende, geschichtsvergessene Putin-Verteidigungsglorie. Die Aufzählung ist weder taxativ noch durchgehend systematisiert. Ist auch schon egal, zumal die politische Amalgam-Lehre (was passt plötzlich alles zusammen!?) wohl ohnehin neu geschrieben werden muss.

So bedenklich es auch sein mag, sich von Wutbürger:innen selbst in Rage treiben zu lassen, so folgenschwer kann es ausgehen, all diese durch die Pandemie beschleunigten bedenklichen Entwicklungen vorrangig individuell analytisch und ohne politischem Koordinatensystem verstehen und deuten zu wollen. Und ich wage die Behauptung, in der Berater:innenbranche neigen wir bisweilen dazu. Im Bewusstsein, dass das Aufbauen und Halten von Beziehungen zu „abgedrifteten“ Kund:innen als essenziell gilt um auf allzu „private Wirklichkeiten“ überhaupt Einfluss nehmen zu können, sei dennoch angemerkt, dass Verantwortung auch im Widersprechen liegen kann und bisweilen wohl auch muss ... wenn selbst der höchste Würdenträger der Katholischen Kirche in Österreich, angesprochen auf besagte Probleme, antwortet: „Lieber Gott, lass es Hirn regnen“!

Walter Schlögl, 2022

(*) erschienen in Zeitschrift „Supervison. Mensch-Arbeit-Organisation“ Heft 4/2022, (Jg. 40): Orientierungslauf – Autorität heute. Gießen (Psychosozial-Verlag), S.44-45;
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Psychosozial-Verlags (Gießen);


Links: https://doi.org/10.30820/1431-7168-2022-4  sowie www.psychosozial-verlag.de/sv

Bilder: Pixabay

 

 

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