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Homeoffice und Remote Work - Chancen, Risiken und Herausforderungen

Hilfestellungen für die Einschätzung auf verschiedenen Ebenen.

 „Jeder lacht für sich allein.“ (1) S. Kühl

„Schon erstaunlich, was sich alles durch Online-Kommunikation erledigen lässt! Nicht nur beruflich auch privat, konnten wir vieles in ähnlicher Qualität wie bei face-to-face-Kontakten erledigen!“ Ähnliche Kommentare wie dieses Beispiel ließen sich am Beginn des pandemiebedingten „Booms“ von Online-Kommunikationsformaten oft vernehmen. Erst nach einiger Zeit wurde das erleichterte Aufatmen von Zugehörigen dieser Gruppe seltener, zunehmend ergaben sich auch von dieser Seite sehr kritische Bemerkungen.

„Einfach schrecklich, die Online-Konferenzen lassen jeden ‚wirklichen‘ Kontakt vermissen. Schon nach kurzer Zeit bin ich derart erschöpft, dass ich gar nicht weitermachen will. Auch, wenn uns diese Möglichkeiten jetzt erst einmal die schlimmsten Auswirkungen des Lockdowns ein wenig lindern lassen, sobald das möglich ist, sollte man schnell wieder zur ‚Normalität‘ zurückkehren.“ Auch solche Bemerkungen waren sofort zu hören. Unübersehbar veränderten sich in atemberaubenden Tempo fundamental bedeutsame Grundsätze und Bedingungen.

Der vorliegende Beitrag wendet sich an alle von solchen Entwicklungen beruflich betroffenen Personen, die an den verschiedenen Facetten von damit einhergehenden Entwicklungen interessiert sind.

 

Grafik Remote Work

Welche gesamtgesellschaftlich bedeutsamen Entwicklungen bedingen als Voraussetzung und ergeben als Konsequenz spezifische Auswirkungen auf Personen, Gruppen und Organisationen? Welche Vorteile und welche Nachteile sind aus heutiger Sicht zumindest mittelfristig erwartbar? Welche Effekte von Kooperationsbemühungen im Rahmen von Online-Formaten sind im Vergleich zur Co-Präsenz-Kommunikation für Organisationen und damit für die Aufgabenstellungen von Führungskräften erwartbar? Und schließlich: In welcher Weise sind konkrete Personen in unterschiedlichen Bedingungen betroffen? Welche Herausforderungen und Chancen eröffnen sich?

Diese und ähnliche Fragestellungen verdeutlichen schon die enorme Breite des Themas. Nur schlaglichtartig kann es also gelingen, sowohl auf Chancen, als auch auf Gefahren aufmerksam zu machen und damit zu eigener Reflexion anregen.

Widersprüchlichkeit

Entsprechend soll vorerst nur in kurzen Hinweisen die Widersprüchlichkeit verschiedener Auswirkungen angedeutet werden, um daran anknüpfend dann durch eine durchgängige Gegenüberstellung von positiven Potenzialen und ernsthaften Gefahrenmomenten einer sich zunehmend etablierenden Homeoffice-Praxis, eine Skizze zu zeichnen, die weder eine blind-optimistische Euphorie noch eine dystopisch-pessimistische Resignation ergibt, sondern vielmehr vielleicht die eine oder andere Anregung bietet, wie man den entstandenen Herausforderungen begegnen kann. Dazu soll versucht werden, diese dialektischen Dynamiken in hier gebotener Kürze auf den verschiedenen Rekursionsebenen von Gesellschaft, Organisation, Arbeitswelt und Person darzustellen. Unschwer wird sich im nachfolgenden Text erkennen lassen, dass nach meiner Ansicht insbesondere den (zumindest anfangs) allzu euphorischen Bewertungen der verschiedenen Entwicklungen mit kritischer Skepsis zu begegnen ist.

Dazu eingangs einige Beobachtungen und Feststellungen:

Vor der Pandemie war die Arbeit von zu Hause aus eher die Ausnahme und also in der jetzt bereits breit etablierten Form noch weitreichend unbekannt. Die vorhandenen technologischen Möglichkeiten für Arbeit aus der Distanz haben manchen Unternehmen, aber auch manchen Beschäftigten, massiv geholfen, die äußerst schwierigen Situationen zu bewältigen. Nicht auszudenken, wie sich hierzulande der bisherige Verlauf der Pandemiekrise in privaten und professionellen Zusammenhängen gestaltet hätte, wären solche Möglichkeiten - auch in diesem privilegierten Teil der Welt - nicht zur Verfügung gestanden.

So manche Führungskraft, die – vor dem Hintergrund tief verankerter Überzeugungen in Hinsicht auf den „wahren“ Charakter des Menschen – über Jahre hinweg, sich jeder Überlegung in Richtung auf Homeoffice versperrte, weil das doch sicher nur zu Betrug, Leistungsabfall und chaotischem Kontrollverlust führen würde, musste eingestehen, dass ihr Misstrauensvorschuss unberechtigt war.

Diejenigen Berufsgruppen, die aufgrund ihrer spezifischen Tätigkeiten und vorhandener technischer Ausstattung, in bemerkenswerter Geschwindigkeit auf „Remote Work“ wechseln konnten, erkannten schnell positive Potenziale. Nicht nur kompensatorische Optionen ermöglichten in veränderter Form die Erledigung beruflicher Anforderungen, es wurde auch der eine oder andere Vorteil gegenüber bisheriger Modi arbeitsweltlicher Gegebenheiten offenkundig. Gerade der erste sog. „Lockdown“ wurde (geradezu gegenteilig zu der gewählten Begrifflichkeit) vorerst als eine Art „Eröffnung“ von Chancen in mehrerer Hinsicht erlebt. Immer wieder ließ sich hinter so mancher MNS-Maske ein erleichtertes „Aufatmen“ erkennen: „Ich hätte nicht vermutet, dass sich der Übergang in ein völlig verändertes Arbeiten dann doch schnell und relativ leicht bewerkstelligen lässt. Meine anfänglichen Ängste waren offenbar übertrieben. Ja mehr noch, der jetzt ermöglichte Gewinn an Autonomie bei der Gestaltung meiner Arbeitszeit, eröffnete mir ungeahnte Möglichkeiten; – auch im Privatleben!“

Angehörige ökonomisch zwar privilegierter, arbeitsbezogen aber überbelasteter Gruppen erlebte ich auf Basis radikalen Reframings beinahe erleichtert: Man sei an ein ohnehin schon lange ersehntes Sabbatical erinnert. Das führte anfangs, als typischer Effekt längerer Unterbrechung von Routinen, in solchen gesellschaftlichen Gruppen nicht selten (zumindest zeitweise) zu einer ernsthaften – in vielen Fällen auch nötigen – Relativierung der Bedeutung von Arbeit.

Mittlerweile aber, nach den wiederholten gesellschaftsweiten Lockdowns, lassen sich zunehmend deutlich auch die problematischen Facetten dieser so gravierenden arbeits- und privatweltlichen Veränderungen erkennen, die – das zählt mittlerweile zu den wenigen „gesicherten“ Prognosen – in vielerlei Hinsicht auf Dauer gestellt werden(2). Man denke in diesem Zusammenhang nur an die schon gegebenen und weiter beabsichtigten Anpassungen des dafür relevanten rechtlichen Rahmens von Berufstätigkeit im Online-Modus.Grafik Homeoffice

Durch die Pandemiebedingungen werden nicht nur die Verschärfungen tiefreichender Spaltungsdynamiken auf der weltgesellschaftlichen Ebene zunehmend unübersehbar, was womöglich tatsächlich überlebensnotwendige Herausforderungen für die demokratische Verfassung zahlreicher Staaten hervorbringt. Beunruhigend dabei, dass sich im Moment gerade für diese Problematik keine erfolgversprechenden Lösungsansätze erkennen lassen. Auch der prognostizierbare, teilweise durch staatliche Eingriffe lediglich verzögerte ökonomische Kollaps mancher Wirtschaftszweige rückt näher. Ob es sich dabei um „schöpferische Zerstörungen“(3) im Sinne Schumpeters handeln wird und entstehende neue Lösungen als „disruptive Innovationen“(4) den Aufbruch in eine neue, womöglich substantiell besser angepasste Arbeitsweltgestaltung den Weg bereiten, muss sich erst herausstellen. Auch im Aufgabenfeld der organisationalen Weiterentwicklung wird mittlerweile klarer: Die nötigen Anpassungen erfordern ein teilweise so gravierendes Ausmaß, dass mittlerweile „Anpassungen“ nicht mehr ausreichen werden, sondern vielmehr eine tatsächlich „radikale“ Neugestaltung die Agenda bestimmen wird. Das ergibt eine Aufgabenvielfalt und -schwierigkeit, die selbst in den sonst so innovationsfreudigen Geschäftsführungsetagen zunehmend Ängste hervorruft, ob das denn noch zu schaffen sei. Das gilt auch und besonders für die nötig werdenden Anpassungen in Hinsicht auf die Möglichkeit auch hinkünftig schnell und möglichst unkompliziert große Teile der Belegschaft nötigenfalls in das Homeoffice zu beordern.

Auch auf der sozialen Mikroebene, wie auch für die Einzelperson, zeigen sich zunehmend – neben zweifelsfrei nach wie vor intakten Chancen – eine Reihe von äußerst negativ zu bewertenden Effekten. Der kollegiale Austausch im Kontext meiner psychotherapeutischen wie auch beratenden Praxis ergibt ein oftmals wirklich erschütterndes Bild in Hinsicht auf die familialen und persönlichen Auswirkungen von Pandemieeinschränkungen und Homeoffice-Alltag.

Der durch die Pandemie entstandene Imperativ zum „Social Distancing“ (besser: „Physical Distancing“ einerseits und Distant Socializing“ andererseits)(5) veränderte bereits unser bisheriges Normalverständnis von „Sozialität“, insbesondere – aber selbstverständlich nicht nur – im Kontext der Arbeitswelt. So wird, nach meiner Beobachtung unübersehbar, die spärlich gewordene Präsenzzeit als wesentlich wertvoller (und damit bewusster) erlebt. Womöglich könnte dadurch bspw. die Bedeutung von „Careaufgaben“, die selbstverständlich auch im Berufsalltag eine bedeutende Rolle spielen, aufgewertet werden und mehr Aufmerksamkeit erhalten.

Die veränderten Bedingungen tragen dazu bei, dass die bewusste Gestaltung arbeitsweltlicher Interaktionsformen in den Fokus rückt. Was früher allenfalls als zusätzliches Aufgabenfeld von Führung und Organisationsgestaltung verstanden wurde, entwickelt sich zu einer zentralen und erfolgskritischen Frage: Welche sozialen Konventionen und Interaktionsrituale erweisen sich in den nun irreversibel veränderten Kooperationsbedingungen als notwendig und erfolgskritisch?

Gesellschaftliche Aspekte von Remote Work

Wie oben schon angedeutet, medienvermitteltes Zusammensein ist keineswegs ein neues Phänomen, sondern vielmehr schon ein historisch länger andauernder gesellschaftlicher Makrotrend, der sich durch die pandemiebedingten Entwicklungen und Herausforderungen allerdings enorm verstärkt. Will man die gesellschaftlichen Auswirkungen ein wenig ausleuchten, dann gilt es in diesem Zusammenhang einige Aspekte der Weltgesellschaft anzusprechen, die gewissermaßen den Hintergrund ergeben, der vielfältig verschiedene Dynamiken sowohl einschränkend wie auch förderlich konfiguriert:

GLOBALISIERUNG

Zuallererst ist dabei die Globalisierung selbst zu nennen; in einer selten deutlich gewordenen Augenfälligkeit wurde uns bewusst, wie sehr die globale Vernetzung sämtliche Lebensbereiche umfasst. Nicht nur, dass eine Virusinfektion einer einzigen Person in China die Lebensverhältnisse in den entlegensten Örtlichkeiten auf diesem Planeten signifikant verändern kann, auch die entstandenen Abhängigkeiten der weltweit arbeitsteilig organisierten Wirtschaftsprozesse wurde wohl jedem Konsumenten und jeder Wirtschaftstreibenden bewusst. Fehlen die Rohstoffe aus welcher Weltgegend auch immer, lassen sich auch dringend benötigte Produkte (wie bspw. MNS-Schutzmasken) nicht produzieren. Die kollektive „Einredung“ des Wettbewerbsprinzip als unhintergehbare Bedingung des angeblich „freien“ Welthandels führte zu neuer, lebensgefährdender Konkurrenz zwischen Volkswirtschaften. Eine neue Argumentation für nationale Grenzen und Abschottung gewann an Einfluss ohne auch nur ansatzweise die damit verbundenen Lösungsideen realisieren zu können.

Gleichzeitig aber lassen die faszinierenden Möglichkeiten der entwickelten Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) jeden Versuch einer protektionistischen Abschottung geradezu lächerlich erscheinen und unterstützen unverzichtbar eine Vielfalt an Fortsetzung von wirtschaftlichen Produktions-, Austausch- und Versorgungsprozessen trotz der notwendig gewordenen Einschränkungen.

NEOLIBERALISMUS, SPÄTMODERNER KAPITALISMUS

Damit sind zumindest implizit sowohl manche Errungenschaften, wie auch die Schattenseiten des spätmodernen Kapitalismus angesprochen. Die Krisenvielfalt ist dabei ursächlich wohl unbestreitbar dem noch immer propagierten „Neoliberalismus“ zuzurechnen, der – entgegen einer völlig evidenten Beweislage für dessen Versagen – noch immer als das alleinige Erfolgsrezept zur Bewältigung aller Probleme verstanden wird(6).

Das unselige weltanschauliche Gebräu aus:

  • überzogenem Vertrauen auf Selbstregulierung,
  • Marktprinzipien als alternativlos verstandenes ethisches Ideal,
  • die Erklärung menschlichen Handelns mit rationalistisch verfassten ökonomischen Modellen,
  • der negative Freiheitsbegriff, der ausschließlich die Abwesenheit von Zwang als konstitutiv für menschliche Freiheit auf Kosten der plötzlich so dringlich gewordenen Notwendigkeit für zwischenmenschliche Solidarität propagiert und so weiter …

Alle diese eigentlich schon sattsam bekannten ideologischen „Mentalvergiftungen“(7) bilden durch erfolgreiche Tiefenindoktrination nach wie vor den mentalen Rahmen, der sowohl den Ausbruch der Pandemie ermöglichte, wie auch sämtliche Versuche beeinflusste, sie zu beherrschen. Man denke in diesem Zusammenhang nur an das gravierende Ungleichgewicht bei Produktion und Verteilung der notwendigen Impfkapazitäten im Weltmaßstab; – oder in Hinsicht auf unser hier gegebenes Thema, an die so ungleichen Bedingungen, die gegebenen Chancen zur Fortführung der Erwerbsarbeit und damit Krisenbewältigung durch Remote Work Optionen zu nutzen.

OPTIMIERUNGSDRUCK

Eine soziale Auswirkung auf Weltebene lässt sich als eine aktuelle Form der Sozialpathologie beschreiben, deren Ursprung ebenfalls in den gegebenen gesellschaftspolitischen Verhältnissen zu finden ist: Die omnipräsenten, unaufhörlich und vielfältig wirksamen Optimierungszwänge, denen die Einzelperson im Rahmen von Remote Work verstärkt unterworfen wird. Diese kollektiv forcierten Entfremdungsprozesse, folgen einer tief verinnerlichten Akkumulationslogik des Kapitalismus, die als eine Art „strukturelles Dreieck“ von „ineinander verschränkten Prinzipien des Wettbewerbs, des Wachstums und der Beschleunigung […]“ darstellbar ist, „[…] das derart fest in der Gesellschaftsstruktur verankert ist, dass alle Hoffnungen auf kulturellen oder politischen Wandel als vollkommen aussichtlos erscheinen.“ (Rosa 2013, S.54)(8)

Muße wird in einer durch Remote Work und Homeoffice nochmals forcierten Entgrenzungsdynamik und Subjektivierung von Arbeit zur beinahe unzugänglich erlebten Ausnahmesituation. Der erlebte Optimierungsdruck, befeuert durch beständige, medial vermittelte Angsterregung, ergibt den Versuch ununterbrochener „Kapitalvermehrung“ auch auf persönlicher Ebene: Anstatt nach „getaner Arbeit“ tatsächlich Feierabend zu machen, wird jede „freie“(?) Zeitreserve genutzt um entweder das eigene ökonomische Kapital zu erhöhen (Stichwort: Nebenjobs), das „Bildungskapital“ im Interesse lediglich gesicherter(!) Arbeitsmarktfähigkeit durch Lektüre oder auditiv-visuell vermittelter Weiterbildungsmöglichkeiten im Internet zu erweitern und aktuell zu halten, das „Gesundheitskapital“ durch Teilnahme an Fitnessprogrammen oder psychischen Wellnessangeboten (Yoga, etc.) zu erhalten, das „Beziehungskapital“ zu pflegen, indem man Verwandte oder berufliche bedeutsame Bekannte – und sei es virtuell – besucht, und so weiter, – die Liste ließe sich fortsetzen. All das verhindert persönliche „Anverwandlungsprozesse“(9) bedeutsamer Weltaspekte und führt zur Entfremdung der Person von Raum, von Zeit, von eigenen Handlungen und damit folgelogisch auch von sich selbst.

Der Soziologe Hartmut Rosa weist nachvollziehbar darauf hin, dass die technologische Entwicklung dabei nicht die Ursache für zunehmende Beschleunigung und damit einhergehende Entfremdung darstellt, sondern als eine Antwort auf die erlebte Zeitknappheit zu verstehen ist, die häufig mit der Einführung neuer Technologien einhergeht. Darin offenbart sich eine scheinbar „fatale“ und zirkulär verfasste Dynamik, indem eben jede technische Innovation unweigerlich eine ganze Reihe von Veränderungen in sozialen Praktiken, Kommunikationsstrukturen und Lebensformen mit sich bringt. Die Techniken erweisen sich im Sinne des Affordanz-Konzepts“(10) als verführerische „Ermöglichungsbedingung“, die als Notwendigkeit propagierte Mengensteigerung fortzuführen.

ALS EINE ZENTRALE THESE WIRD IM ZUSAMMENHANG MIT DEN GESELLSCHAFTLICHEN ASPEKTEN BEHAUPTET:

Die (coronabedingte) Zunahme mediatisierten Zusammenarbeitens befördert

  • soziale Ungleichheitseffekte (Geschlecht, Bildung, Herkunft, …),
  • die zunehmende Entgrenzung der Arbeit
  • und eine Re-Traditionalisierung von Rollenverteilungen.

Die Belege für diese These sind vielfältig verfügbar (und auch empirisch nachweisbar). Als Beispiel sei „Ungleichheit“ und „Re-Traditionalisierung von Rollenverteilungen“ genannt: „Tückisch ist das Homeoffice vor allem auch deshalb, weil das Zuhause der Ort der ‚anderen Arbeit‘ ist, die tagtäglich geleistet werden muss. Der Großteil dieser anfallenden Arbeit wird von Frauen bewältigt.“(11) Es ist (leider) nicht verwunderlich, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im coronabedingten Homeoffice vermehrt von Frauen geleistet werden soll, was sich für diese womöglich als Karrierekiller erweisen wird.

Zusammenfassend und ergänzend sollen hier nachfolgend einige Aspekte der Vor- und Nachteile der durch die Pandemie forcierten Veränderungen unserer mediatisierten Alltagswelt aufgelistet werden:

VOR- UND NACHTEILE DER VERÄNDERUNGEN UNSERER MEDIATISIERTEN ALLTAGSWELT AUS GESELLSCHAFTLICHER SICHT:

Grafik 1

Grafik 2

Dem durch die Pandemie gesteigerten Gegenseitigkeitsbewusstsein mitsamt der weiter entwickelten internationalen Vernetzung via Informations- und Kommunikationstechnologie, als eine Voraussetzung bzw. Unterstützung für solidarische Anstrengungen auf globaler Ebene der „Vielfachkrise“ zu begegnen, steht das erkennbar politisch verwertete Angstpotenzial gegenüber, das zu weiterer Spaltung und Entsolidarisierung innerhalb und zwischen Volkswirtschaften führt.

Werden einerseits Innovationschancen auf globaler Ebene eröffnet (Neuordnungen von global bedeutsamen Regelwerken durch die krisenbedingt gestiegene Einsicht und Bereitschaft für fundamentale Neuordnungen relevanter Rahmenbedingungen), verschärft sich dem entgegenstehend die soziale Frage im globalen Ausmaß. Das lässt sich nicht nur sehr offenkundig in der weiteren Kapitalakkumulation in begünstigten Wirtschaftszweigen (Stichwort „Online-Handel“) zu Lasten traditioneller Unternehmen feststellen, sondern – sehr viel gravierender in der Auswirkung – auch in der sich dynamisierenden Ungleichheitsdynamik zwischen der privilegierten „westlichen Hemisphäre“ und dem nach wie vor ausgebeuteten und benachteiligten „Rest der Welt“. Dieser besonders gefährliche und ethisch nicht vertretbare Umstand kann allzu leicht zu weiteren Fluchtbewegungen mit entsprechenden Abschottungsaktivitäten und einer angstgetriggerten Beharrungstendenz führen, die sich eine „Normalität“ zurückwünscht, die für den Großteil der Weltbevölkerung alles andere als erstrebenswert sein kann.(12)

Neben den Chancen für neue Entwicklungen auf der weltpolitischen Ebene, ergeben sich besonders deutliche Innovationschancen im Funktionssystem „Wirtschaft“ (Stichworte: Entwicklung völlig neuer Formen der Arbeitskraftnutzung durch den intelligenten Einsatz neuer Technologien, Remote Work und Flexibilisierung als weitere „Trigger“ für steigende „Agilität“ von Produktion, Distribution, Dienstleistung und Versorgung,…). Der erkennbare Zugriff der Wirtschaft auf solche Chancen, vormächtig im Interesse weiterer Steigerung der Rentabilität, bewirkt eine weitere Dynamisierung sozialer Ungleichheit entlang der Dimensionen Geschlechtszugehörigkeit, Bildungshintergrund und -chancen, Lebensalter, kultureller Hintergrund, sozialer Herkunft und so weiter. Setzt sich, was zu hoffen wäre, endlich auch eine gemeinwohlorientierte Bewertung wirtschaftlicher Innovationen durch, dann würden sich signifikante Umwertungen der Innovationsbemühungen ergeben und den bereits in Gang gesetzten Weichenstellungen eine andere Richtung aufzwingen.

Schließlich noch ein Argument, das besonders häufig bemüht wird: Die Verminderung beruflich bedingter Mobilität durch internetbasierte Koordinationsformate, ein gesamtgesellschaftlicher Trend, der vermutlich nicht mehr umkehrbar sein wird, und(!) die in manchen Bereichen erkennbare Zurücknahme nachteiliger globaler Arbeitsteilung, ergeben einerseits tatsächlich eine günstige Auswirkung auf die CO2-Bilanz; – sie lassen allerdings andererseits leider sog. „Rebound-Effekte“(13) erwarten, wie sie schon in der vergangenen Finanzkrise 2008 / 2009 zu beobachten waren.

Auswirkungen von Remote Work und Homeoffice auf Organisation und Arbeitswelt

Die bisherigen Ausführungen beziehen sich auf den mittlerweile global gefassten Gesamtkontext von Arbeitswelt. Nachfolgend sollen einige Auswirkungen schlaglichtartig fokussiert werden, die sich in den unmittelbaren Rahmenbedingungen der Arbeitswelt im Allgemeinen, den Organisationen im Besonderen feststellen bzw. vermuten lassen.

Dazu sollte vorerst noch einmal festgehalten werden, dass Homeoffice nur für eine relativ überschaubare Tätigkeitsgruppe möglich und sinnvoll ist (im Wesentlichen Bürotätigkeiten, Wissensarbeit und Projektaufgaben). Mein Kollege Christian Korunka berichtet von einer repräsentativen Befragung, die zeigte, dass der bisherige Anteil mobiler Tätigkeiten (in Österreich bei ca. 18 Prozent gelegen) während der Lockdown-Phasen hierzulande auf knapp 25 Prozent angestiegen ist. „Dies bestätigt zwar einerseits, dass mobiles Arbeiten bereits ein wesentliches Segment der modernen Arbeitswelt darstellt, verweist aber gleichzeitig auf die Tatsache, dass auch in näherer Zukunft der überwiegende Teil der Tätigkeiten weiterhin nur ortsgebunden ausgeführt werden kann. Ebenfalls sollte nicht vergessen werden, dass Home Office in der Regel nur in einem kleineren Teil der gesamten Arbeitszeit, beispielsweise an einem Arbeitstag pro Woche, ausgeführt wird.“ (Korunka 2020, S.45)(14)

Nicht weiter verwunderlich, wurden in den vergangenen Jahren einige Studien zu den Auswirkungen von Remote Work durchgeführt und publiziert. Dabei zeigt sich erneut der widersprüchliche Charakter der verschiedenen Konsequenzen. Laut Korunka sind dabei zwei Formen eines paradoxen Zusammenspiels besonders bedeutsam:

DAS AUTONOMIEPARADOX

Ausgehend von empirischen Belegen, wurden über einen langen Zeitraum insbesondere die positiven Auswirkungen von größtmöglicher Autonomie (erhöhte Qualität des Arbeitslebens, positive Auswirkungen der Kontrolle über Arbeitsmittel, Abfolge von Aufgaben und Arbeitsabläufe) im Arbeitsleben betont. Mittlerweile wurde durch Untersuchungen in Hinsicht auf Homeoffice erhoben, dass bei Personen mit hoher Autonomie durch Remote Work ein signifikantes Ansteigen der Arbeitsintensität zu beobachten ist. Es wird wesentlich länger und auch intensiver gearbeitet, was wiederum auf Kosten der erlebten Autonomie zu gehen scheint.Grafik Woman Work

DAS CONNECTIVITY-PARADOX"

Hier wird das Zusammenspiel zwischen Freiheit und Erreichbarkeit adressiert. Obwohl die Tätigkeiten ortsungebunden durchgeführt werden können und damit Freiheitsgewinne erwartet werden, die einen weniger abhängig von anderen machen könnten, wird gerade bei flexibel arbeitenden Personen von Kolleg*innen und Vorgesetzten eine permanente Erreichbarkeit erwartet. „Dies führt oft dazu, dass sich Personen, die flexibel arbeiten, sehr schwer damit tun, Grenzen zwischen der Arbeit und Nicht-Arbeit zu ziehen. Aus der Möglichkeit und Chance der Gestaltung der Nicht-Verbundenheit in flexiblen Arbeitsumgebungen resultiert also die permanente Verbundenheit, die im Extremfall bis in die vollständige Abhängigkeit von den neuen Technologien reichen kann. […] Es kann also festgehalten werden“, so das Resümee des Arbeits- und Organisationspsychologen Korunka, “dass bei der Arbeit im Home Office die möglichen Chancen und Herausforderungen oft Hand in Hand gehen. So gehen die Möglichkeiten und Vorteile einer erhöhten Autonomie oft mit einer Zunahme der Arbeitsintensität einher. Die im Home Office mögliche Verringerung von Ablenkungen und Unterbrechungen können auch von einem Mangel an sozialer Unterstützung oder sogar sozialer Isolation begleitet sein.“ (ebd. S.48)

Aus diesen empirisch erhobenen Aspekten, lassen sich doch einige konkrete Schlussfolgerungen ziehen, die allesamt darauf abzielen, durch geeignete, verbindlich getroffene Vereinbarungen, die mittlerweile auch durch gesetzliche Vorgaben unterstützt, bzw. verlangt werden, die potenziell negativen Auswirkungen zugunsten der positiv zu bewertenden Potenziale abzufedern. Dazu zählen geeignete räumliche Voraussetzungen und Bedingungen (Ergonomie, Ausstattung, Ungestörtheit), geregelte und eingegrenzte(!) Erreichbarkeiten begleitet von entsprechend verbindlich gehaltenen Pausenzeiten, Unterstützung bei der bewussten Nutzung von Kommunikationsmitteln, sowie – vermutlich besonders wichtig – eine abgestimmte Gestaltung von Strukturen, die regelmäßige persönliche Kontaktaufnahmen ermöglichen. „Im Idealfall ist eine Kombination aus persönlichen und virtuellen Arbeitsmeetings anzustreben. Synchrone Kommunikationsformen (Telefon, Videotelefonie etc.) sind meist gegenüber asynchronen Formen (E-Mail) zu bevorzugen. Technische Kommunikation sollte als eine Ergänzung von persönlicher Kommunikation betrachtet werden.“ (ebd. S.50)

Nachfolgend sollen auch in Hinsicht auf die Organisation weitere Vor- und Nachteile von Online-Formaten der Kooperation im Vergleich zur Co-Präsenz-Kommunikation in Form kurzer Thesen thematisiert werden.

VOR- UND NACHTEILE VON ONLINE-FORMATEN DER KOOPERATION IM VERGLEICH ZUR CO-PRÄSENZ-KOMMUNIKATION AUS ORGANISATIONALER SICHT

Grafik 3

Grafik 4

Zweifelsfrei ergeben sich einerseits Kostenvorteile durch die schon erwähnte Verminderung von Reisebewegungen der Mitarbeiter*innen, auch so manche Arbeitsmittelerfordernisse und Ausstattungsnotwendigkeiten können wegfallen. Das ergibt allerdings, zunehmend auch durch die zweifelsfrei nötigen Anpassungen rechtlicher Rahmenbedingungen durch den Gesetzgeber die eine oder andere Anpassungsnotwendigkeit (Stichworte: bspw. Arbeitsrecht oder Datenschutz, aber auch verschiedene Personalentwicklungsaufgaben). Nicht übersehen werden sollten damit einhergehende ethische „Zwickmühlen“ und rechtliche Probleme, die sich aus der mittlerweile schon begrifflich gefassten „BYOD-Kultur“ („Bring Your Own Device“) ergeben.

Die nötig gewordenen Anpassungen der Organisations- und Führungskultur befördert einen in den letzten Jahren insbesondere durch die Beraterszene forcierten Trend, die bestehenden Organisationsstrukturen in Richtung der so prominent diskutierten „Agilitätserfordernisse“ zu entwickeln. Erhöhte Reaktionsgeschwindigkeiten, Abfedern negativer Auswirkungen allzu hierarchisch verstandener Führung und bürokratisch übersteuerter Ablauforganisation, ergeben sich mittlerweile schon durch die Affordanz(15) der eingesetzten Informations- und Kommunikationstechnologien, die solche, durchaus brauchbaren Effekte gleichsam „erzwingen“. Gleichzeitig, und solche erwünschten Prozesse wiederum dämpfende Dynamiken, finden sich – wie bei jeder weitreichenden Innovation und Umstrukturierung – in der erwartbaren Reaktanz, in vielfältig sich äußernden Widerstandsphänomenen und Beharrungstendenzen. Das ergibt die Notwendigkeit von Beratung und Schulung und verschiedene Personalentwicklungsaktivitäten, die mitunter nicht wenig Kosten verursachen.

Die vermehrte Nutzung von Remote Work und Homeoffice befördert durch damit veränderte Job-Bedingungen beinahe zwangsläufig ein zunehmendes „Empowerment“ der Mitarbeiter*innen (Stichworte: Autonomie, nötige Selbstinitiative und Selbstorganisation). Damit sind Haltungen angesprochen, die man in nicht wenigen Organisationen schon über viele Jahre hinweg zu etablieren versucht hat. Idealerweise ändern sich dadurch die Machtbasen von Führung. Standen traditionellerweise die klassische Positions-, Sanktions- und Informationsmacht mit allen daraus resultierenden negativen Begleiterscheinungen im Führungsalltag (zu) stark imVordergrund, so ergeben sich mittlerweile durch die unhintergehbare Reduktion der Durchsetzungserfordernisse auf andere Grundlagen der Macht, nicht zu unterschätzende Ermächtigungspotenziale und -entwicklungen. Die störenden Auswirkungen allzu ausgeprägter „Power Distance“ zwischen Führungs- und Umsetzungsbeauftragten könnten zurückgedrängt werden. Führung „auf Augenhöhe“ mit lediglich funktionaler Differenzierung auf Basis von wechselseitiger fachlicher und/oder persönlicher Autorität wird potenziell gefördert und lässt auf vielen Ebenen bessere Arbeitsergebnisse und angenehmere Arbeitsbedingungen zu. Auf der anderen Seite finden sich Führungskräfte zunehmend mit schwierigen Feedback- und damit Motivationsbedingungen konfrontiert. Führung auf Distanz will erst einmal gelernt werden, es gilt neue Kommunikations- und Informationsroutinen aufzubauen und nachhaltig zu etablieren. Es gilt zu vermeiden, dass „Digital Leadership“ womöglich einen Kontaktverlust ergibt, indem nach wie vor nötige Steuerungs- und auch Kontrollaufgaben durch eine Art „Leadership on demand“ nur mehr gelegentlich und nicht mehr systematisch erfüllt werden können.

Immer wieder ist zu hören, dass Online-Meetings eine Effizienzsteigerung ergeben können. Immerhin entfallen zeitlich aufwändige Wegzeiten, es können sehr knapp aufeinander folgende Zeitfenster für betriebliche Kernprozesse genutzt werden, es gibt weniger Wartezeiten und Zeitverluste durch Pausen, der Entfall von Gelegenheiten soziale „Reibungsverluste“ durch direkte Kommunikation erleben zu müssen, ergibt eine wesentlich gesteigerte Konzentration auf die Sachaspekte der professionell verzweckten Kommunikation.Grafik Meeting

Diese (hauptsächlich) funktionale(!) Äquivalenz der Online-Meetings täuscht allerdings nicht selten eine Effizienz- und Effektivitätsoptimierung nur vor. Häufig ließ sich gerade in den Anfangszeiten der vermehrten Online-Konferenzen beobachten, dass die enorme Bedeutung informeller Kommunikation für eine tatsächlich zeitökonomische Erledigung von Projekten auf die gesamte Durchlaufzeit hin betrachtet, übersehen wurde. Auch die Qualität der letztendlich erzielten Outputs und Outcomes anspruchsvoller Projekte, gelingt ohne Berücksichtigung der informellen Kommunikationsphänomene nicht annähernd so gut. So kann beispielsweise der Wegfall von „Care-Arbeit“ auch am Arbeitsplatz, eine Vielzahl von Problemen ergeben, ohne dass dieser Zusammenhang auffällig wird. Die kollegiale Anteilnahme an Problemstellungen in der Arbeitswelt bedeutet eine nicht unwesentliche psychohygienische Stütze und bietet mitunter auch einen präventiven Schutz gegenüber Burnout und ähnlichen psychosozialen Problemen.

Zudem sollten die vielfältigen, potenziell negativen Auswirkungen ständiger Kontextüberlagerungen im Homeoffice keineswegs unterschätzt werden. Ergeben sich zuhause, aufgrund von spezifischen privaten Bedingungen permanent „kognitive Dissonanzen“(16), weil bspw. anwesende Kinder, Haustiere, pflegebedürftige Angehörige, ankommende Lieferdienste und so weiter immer wieder Handlungsimpulse triggern, denen (wenn überhaupt) nur halbherzig Folge geleistet werden kann, dann stellt sich ein Stressmuster womöglich auf Dauer. Dadurch wird nicht nur Konzentration und Arbeitsleistung vermindert, sondern auch eine gesundheitliche Gefährdung evoziert.

Betrachtet man schließlich die konkreten Kommunikationsmomente im Rahmen von Onlinemeetings noch genauer, dann ergibt sich erneut ein widersprüchliches Bild. Eine Zoom-Konferenz, davon konnten wir uns mittlerweile beinahe täglich überzeugen, ergibt nicht zu verachtende Möglichkeiten der Effizienzsteigerung. Parallele Kommunikation auf mehreren Kanälen gleichzeitig, wie beispielsweise leicht zu bewerkstelligende Live-Dokumentation (Protokollierung) von Gesprächsverläufen, schnelle Verfügbarkeit von überraschend als nötig erachteten Dokumenten, oder die Chatfunktion während einer Präsentation, die es erlaubt, die Vorteile schriftlicher Kommunikation (Prägnanz und Klarheit) einzubringen, auf die der oder die Vortragende ohne langwieriges Nachfragen sofort reagieren kann, – all diese technisch ermöglichten Optionen können sich tatsächlich bei intelligenter und versierter Handhabung förderlich auf Effizienz und Effektivität auswirken.

Andererseits lassen sich Online-Konferenzen ohne „Distraktoren“ kaum durchführen. Wie oben schon erwähnt: Immer wieder sind Situationen zu bewältigen, die die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und damit die Konzentration stören. Zusätzlich ist hier noch das eigene Bild am Monitor zu erwähnen, das ebenfalls zu einem (eingangs ungewohnten) permanenten Feedback wird und ablenken kann. Störungen durch die oben erwähnten Überlagerungen verschiedener Kontexte sind nicht nur durch die räumliche Konstellation im Homeoffice wahrscheinlich, die klare Abgrenzung wird mitunter auch wenig durch Übergangsrituale o.ä. unterstützt. Wie man auf verschiedenen Internetplattformen schon amüsiert oder peinlich berührt sehen kann; -  die beinahe schon sprichwörtliche Jogginghose zum Businesshemd, sorgte schon für so manche Panne. Man sollte solche Aspekte in ihrer psychischen Auswirkung nicht unterschätzen: „Die unsichtbare, aber doch handfest greifbare Uniform, die sich all die Jahre beim Betreten des Arbeitsplatzes ganz von selbst über das private Ich gelegt, es für die Fährnisse des Büroalltags in Form gebracht und ordentlich zugeknöpft hat, materialisiert sich nicht, wenn man lediglich drei Schritte vom Bett hinüber zum Computer schlurft.“(17)

Eine besondere Form der Konzentrationsstörung ergibt sich durch die verunsichernde Form des Schweigens in Online-Konferenzen. Lässt sich bei Präsenzterminen zumeist leicht herausfinden, oder zumindest durch Empathie mit hoher Wahrscheinlichkeit zutreffend vermuten, was eine spontan entstandene Gesprächspause bedeuten kann, dann ist man bei Online-Meetings in solchen Situationen oft irritiert. „Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch die erschwerte Übergabe des Rederechts (Turn-taking), was in realen Settings primär durch nonverbale Signale erfolgt, vor allem mittels Blickkontakt. Die Besonderheit in virtuellen […] Meetings besteht darin, dass die Frequenz solcher Schweigesekunden enorm hoch ist, es also kontinuierlich zu einer Meta-Reflektion des Kommunikationsgeschehens kommt.“ (Kunert 2020)(18) Wiederholen sich solche Situationen häufig, kann der Gedankenfluss schnell versiegen und damit kreative oder explorierende Prozesse gar nicht erst in Gang kommen.

Auswirkungen von Remote Work und Homeoffice auf die Person

Nach den skizzenhaften Überlegungen, welche Auswirkungen Remote Work und Homeoffice auf die Organisation, das Aufgabenfeld von Führung und Sozialität insgesamt haben können, bzw. welche gesellschaftlichen Kontextbedingungen in diesem Zusammenhang bedeutsam sind, soll nun noch die Person in den Blick genommen werden. Dabei sollten nicht nur, wie in den letzten Ausführungen des vorangegangenen Kapitels, (kommunikations-)psychologische Aspekte einfließen, sondern darüber hinaus auch die psychosozial bedeutsamen Auswirkungen von Remote Work kurz skizziert werden.

PSYCHOSOZIAL BEDEUTSAME AUSWIRKUNGEN VON REMOTE WORK

Grafik 5

Grafik 6

Dabei wird vorerst eine häufig unbeachtete Perspektive eingeblendet: Wie oben schon erwähnt, die Erwerbstätigkeiten im Homeoffice finden in Bedingungen statt, die eine räumliche Nähe, wenn nicht sogar Überlagerung mit sich bringen in Hinsicht auf Reproduktionstätigkeiten, Erziehungs- und Betreuungsaufgaben (Stichwort „Home Schooling“), Kinderspielen, Care-Tätigkeiten und so weiter. Dieser Umstand birgt, insbesondere bei mangelnder Beachtung der damit verbundenen Notwendigkeiten neue Abgrenzungsmöglichkeiten zu etablieren, ein enormes Belastungspotenzial für Familie und Partnerschaft. Gerade kleine Kinder sind wohl klar überfordert, wenn man ihnen verständlich zu machen versucht, dass Papa und Mama zwar räumlich zugegen, aber dennoch nicht erreichbar sind. „Wer Home-Office vorschlägt, damit Eltern Kinder betreuen können, hat wohl weder Home-Office noch Kinderbetreuung wirklich verstanden.“ (19)Grafik Home Office Kid

Gerade am Beginn der durch die Pandemie forcierten Homeoffice-Phase konnte man häufig das Argument hören, dass sich durch die damit verbundene örtliche und zeitliche Flexibilität, nicht nur die Chancen verbessern die eigene Arbeitsorganisation selbstständig zu strukturieren; – es würden sich damit auch, verbunden mit der Zunahme von flexibilisierten Arbeitszeitmodellen, die Optionen verbessern auch nebenberufliche Erwerbstätigkeiten unter einen Hut zu bringen. So sehr das in spezifischen Fällen zutreffend sein mag, klar ist, dass sich solche Vorteile nur bei entsprechenden räumlichen Voraussetzungen tatsächlich realisieren lassen. Die anfangs allzu selbstverständlich vorausgesetzte Nutzung privater Anschaffungen (PC mitsamt nötigen Equipment, Netzwerkanbindungen, Räumlichkeiten, …) als betriebliche Produktionsmittel, wurde mittlerweile bereits durch entsprechende Rechtsvorschriften geordnet.(20) Auch die gesundheitlichen Auswirkungen durch womöglich ungeeignete Arbeitsmittel und Räumlichkeiten soll hier noch erwähnt werden (Belichtung, Platzverhältnisse, Temperatur, ergonomische Gestaltung des Arbeitsplatzes, …). Wird in der betrieblichen Umgebung eine arbeitsmedizinische Beratung geboten, so ist man im Homeoffice hier meist völlig auf sich gestellt.(21)

Folgt man den zentralen, mittlerweile empirisch gut dokumentierten Aussagen der klassischen Motivationsforschung(22), dann sollte eine Folge der gesteigerten Autonomie und Partizipation in Hinsicht auf die formale Arbeitsgestaltung nicht nur höhere Identifikationswerte mit den eigenen Arbeitsaufgaben erbringen, sondern auch eine Abnahme bzw. Prävention von potenzieller Arbeitsunzufriedenheit, indem sich womöglich demotivierend gestaltete Kontrolltätigkeit von Führungskräften reduziert, sich weniger direkte Betroffenheit von vielleicht für die betreffende Person unangenehmen Organisationskulturaspekten und Gruppennormen bzw. Beziehungsdynamiken einstellen kann. Selbstverständlich sollte dabei nicht übersehen werden, dass sich psychische Auswirkungen von sozialen Normen und konkreten Beziehungsaspekten natürlich auch via Kommunikationsmedien ergeben. Bildschirme und Headsets schützen natürlich keineswegs vor Kränkungen, Ärgernissen und daraus entstehender Trübung der Arbeitsfreude; – im Gegenteil könnte das Erschwernis direkt und „Face-to-Face“ in „Nebengesprächen“ die eine oder andere Irritation zeitnahe klären, zu vermeidbaren und womöglich nachhaltigen Störungen der Arbeitsbeziehungen beitragen.

Inwieweit sich die Erhöhung der Autonomie paradoxerweise auf eine erlebte Einschränkung derselben auswirken kann (Stichwort: signifikantes Ansteigen der Arbeitsintensivierung“) wurde oben schon ausgeführt. Hier soll noch kurz auf einen Aspekt hingewiesen werden, der geradezu prototypisch ein letztlich neoliberal verfasstes Grundmuster im Umgang mit personalen Herausforderungen aufzeigt. An nicht wenigen Stellen einschlägiger Ratgeberliteratur, die – wenig überraschend – zur Zeit in großer Menge auf den Markt kommen, wird in Hinsicht auf die bereits skizzierten Probleme eine gelingende „Life-Domain-Balance“ unter Homeoffice-Bedingungen zu schaffen, auf die längst schon populär gewordenen Tipps und Kniffs gelingenden Selbstmanagements hingewiesen. Wird unter völliger Missachtung der sich aus den gesellschaftlichen, technischen als auch arbeitsplatzbezogenen Rahmenbedingungen ergebenden Problemlagen, die Verantwortung zur Gänze der Person aufgelastet, dann wird eine Tendenz der Vereinzelung in heutigen Arbeitsverhältnissen fortgeführt, die in Remote Work und Homeoffice ohnehin angelegt ist. Eine noch so perfekt versuchte Realisierung der mitunter äußerst simplizistischen Empfehlungen für ein professionelles Selbstmanagement, wird kaum die ersehnten Entlastungseffekte erbringen können, wenn beengte private Raumverhältnisse, ein nur mangelhaft geeignetes Equipment, permanent gesellschaftlich und sozial vermittelte Selbstoptimierungsanforderungen bei womöglich gleichzeitig schwierigen privaten Verhältnissen – auf führungstechnische Vernachlässigung und unrealisierbar hohe Ansprüche seitens der Organisation treffen.Grafik Work from home

Ein weiteres Mal soll die Widersprüchlichkeit in Hinsicht auf die Autonomiegewinne durch Homeoffice adressiert werden, diesmal unter zeitlicher Perspektive. Es lässt sich tatsächlich feststellen, dass eine weitreichend eigenständige Strukturierung von Tagesabläufen fernab prinzipieller betrieblicher Vorgaben, wer, in welchem Büro, mit wem, zu welchen fixen Arbeitszeiten anwesend zu sein hat, eine unvergleichlich bessere Anpassung von Arbeitserfordernissen an Eigenzyklen, persönlichen Bedürfnissen und privaten Erfordernissen ermöglicht. Auch der mehrfach erwähnte Wegfall von Fahr- und Wartezeiten ergibt eine Zeitersparnis, die man verschiedentlich nutzen könnte. Nicht unterschätzen sollte man dabei, dass Zeitaufwände durch Mobilitätsanforderungen selbstverständlich auch Gelegenheiten zur „Pause“ darstellen, da man während der Wegzeiten auch psychischen Abstand zu den vielen Anforderungen des Berufsalltags gewinnen und ein wenig abschalten kann. Werden diese regenerativen Nebeneffekte übersehen und nicht in anderer Form kompensiert, ergeben sich oft Tagespläne, die derart optimiert kaum „Zeitlücken“ zwischen den verschiedenen Tele-Konferenzen zulassen. Hier ist eine zugleich simple wie bedeutende Ursache für das bemerkbare Ansteigen von Überlastungsphänomenen und Erschöpfungszuständen zu finden.

Die Stichworte „Re-Traditionalisierung von Geschlechtsstereotypen“ sollen hier nach der eingangs schon erwähnten Bedeutung aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive, nachfolgend auch noch im Zusammenhang mit den konkreten personalen Auswirkungen fokussiert werden. Dazu ein längeres Zitat von Sarah Speck, die sich als Professorin für Soziologie mit Genderthemen befasst und einige, durch Pandemieeinschränkungen verschärfte Aspekte beleuchtet, die nach wie vor besonders weibliche Homeoffice-Beschäftigte betrifft: „Tückisch ist das Homeoffice […] vor allem auch deshalb, weil das Zuhause, wie die Geschlechterforschung seit langem herausstellt, der Ort der anderen Arbeit ist, die tagtäglich geleistet werden muss. Jene, die dem alltäglichen Lebenserhalt dient, der Wiederherstellung der Arbeitskraft, der Versorgung, der Erziehung der Kinder und der Pflege kranker, eingeschränkter und alter Menschen. Das »Büro Zuhause« bedeutet ein hohes Maß an Koordination ganz unterschiedlicher Tätigkeiten an einem Ort und der Befriedigung von vielfach auseinanderlaufenden Bedürfnissen – was auch ständige Aushandlung und Konflikte bedeutet. Angesichts der ausfallenden institutionellen Betreuungs- und Versorgungseinrichtungen und der weitgehenden Einschränkung von Freizeitbetätigungen außer Haus im Zuge des Lockdowns wurde das Glücksversprechen der »Vereinbarkeit« durch das Homeoffice, das auch jenseits der Pandemie vielfach eine alltägliche Zerreißprobe angesichts unterschiedlicher Anforderungen beinhaltet, in Zeiten von Corona zur Farce. Wer ein oder mehrere Kleinkinder Zuhause betreuen muss, erlebt, dass die Erwartung, den regulären Job im Homeoffice weiter zu erledigen – vielleicht einfach abends? –, grotesk ist.

Doch nicht nur die Betreuung von Kindern und die für alle Eltern vollkommen neue Situation der häuslichen Beschulung beinhalteten gänzlich neue Herausforderungen. Die täglich anfallende Hausarbeit wuchs immens: Wenn alle immer Zuhause sind, muss viel mehr eingekauft, Essen zubereitet und aufgeräumt werden, die vielfach zu kleine Wohnung wird stärker genutzt, ständig muss aufgeräumt und sauber gemacht werden.“ (Speck 2020, S.137)(23) Die Autorin weist an anderer Stelle noch darauf hin, dass die unterschiedliche Betroffenheit bedingt durch Geschlechtszugehörigkeit auch für den Wissenschaftsbereich gilt und sich dort relativ leicht auch quantifiziert belegen lässt, indem Herausgeber*innen von Fachzeitschriften seit Ausbruch der Pandemie einen signifikanten Anstieg von Einreichungen durch männliche Wissenschafter bei gleichzeitigem Absinken der Einreichungen durch weibliche Kolleginnen verzeichnen. Es darf in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden, dass sich aus diesen aktuellen Gegebenheiten auch langfristige Auswirkungen ergeben. Dazu noch einmal ein ausführliches Zitat aus dieser Publikation: „Während es durch die Absage von Konferenzen und Präsenzveranstaltungen bei vielen männlichen Kollegen zu einem Produktivitätsschub gekommen ist, bedeutet der Lockdown für viele Wissenschaftlerinnen das Gegenteil: kaum konzentrierte Arbeitsstunden mehr angesichts der Erfordernisse durch die anfallenden Sorgearbeiten. Die ungleichen Belastungen haben, so illustriert dieses Beispiel, Auswirkungen auf Berufsverläufe und Erwerbslaufbahnen und damit auf Ressourcen, Einkommensstrukturen – Stichwort Gender Pay Gap und Gender Pension Gap – und auch auf Handlungsmöglichkeiten und Machtbalancen in partnerschaftlichen Aushandlungen. Nicht zuletzt werden in diesen Monaten wieder Muster der Arbeitsteilung zu selbstverständlichen Routinen und es entsteht ein Ungleichgewicht im alltagspraktischen Wissen (über die Situation in der Schule etc.), das in vielen Fällen Auswirkungen auf häusliche Strukturen in den kommenden Jahren haben wird.“ (ebd. S. 138f)

Auch die mit den Homeoffice-Beschäftigungsverhältnissen einhergehende Vereinzelung im Arbeitskontext soll in Hinsicht auf potenzielle Auswirkungen nicht unterschätzt werden. Die eingeschränkten Möglichkeiten unmittelbar-spontaner Verständigung und sozialen Austauschs kann – je nach privaten Lebensverhältnissen – zu einer Vereinsamung führen. In der aktuellen Ausprägung unserer meritokratisch verfassten Leistungsgesellschaft ist augenscheinlich, wie stark gerade das Erwerbsleben vielfältige Chancen offeriert soziale Zugehörigkeitsbedürfnisse zu befriedigen. Nicht selten stellt deshalb der Arbeitskontext für einzelne Personen das vorrangig gewählte Terrain dar, sich mit anderen sozial zu verbinden. Das hat auch Auswirkungen auf die privaten Bezugspersonen im gemeinsamen Haushalt und damit auf beGrafik timedeutsame Beziehungen: „Wenn das private Heim zur Schaltzentrale des privaten und beruflichen Lebens wird, dann fehlen all die mehr oder weniger zufälligen Begegnungen mit anderen, die uns auf der Straße oder »auf Arbeit« begegnen. Neben dieses Problem der physischen Distanzierung tritt das Problem des Kollabierens von sozialer Distanz. Nicht nur ist man den körperlich kopräsenten Haushaltsmitgliedern nun auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, auch die Grenze von Beruf und Privatheit erodiert, wenn Kolleg*innen und Geschäftspartner*innen nun im Wohnzimmer, Küche oder Schlafzimmer telekommunikativ anwesend sind und um Aufmerksamkeit mit den im Haushalt weiterhin körperlich anwesenden Personen (und ggf. deren telekommunikativ anwesenden Gegenübern) konkurrieren.“ (Dickel 2020, S. 84) (24)

Auch in Hinsicht auf zutiefst politisch bedeutsame Fragestellungen ist die potenzielle Vereinzelung durch Reduktion oder gar weitläufigen Entfall von kontinuierlich gepflegten Arbeitsbeziehungen auch abseits von konkreten, situativ nötigen arbeitsbezogenen Koordinations- und Kooperationsmomenten bedeutsam. Wenn sich Vertrauen unter Anderem durch Vertrautheit etablieren und festigen kann, dann sind hier Erosionen zu erwarten, die durch den Mangel an Austauschmöglichkeiten zu gesamtgesellschaftlich-politischen Fragestellungen, die jede*n Einzelnen betreffen, auch Entsolidarisierungstendenzen befürchten lassen. Dabei ist nicht nur an die Erschwernisse zu denken, sich in Hinsicht auf konkrete Problemlagen innerhalb des gemeinsamen Unternehmens zusammenzuschließen (Stichworte: Arbeitnehmervertretung, innerbetriebliche Mitbestimmung und Wirtschaftsdemokratie), sondern darüber hinaus auch an die politisierende Wirkung von (Pausen-)Gesprächen zu allgemeinen gesellschaftspolitischen Themen im Kontext der beruflichen Tätigkeit.

(Vorläufiges) Resümee

Wie eingangs schon erwähnt: Der vorliegende Beitrag sollte keine klar gefasste Gesamteinschätzung abgeben, das wäre bei der gegebenen Komplexität und Breite des gewählten Themas gar nicht möglich. Vielmehr sollten die erwähnten schlaglichtartigen Thesen in Hinsicht auf erwartbare Vor- und Nachteile auf verschiedenen Ebenen in konkrete Situationen vielleicht eine kleine Hilfestellung für offene Entscheidungen bieten.
Eine Bewertung der Vor- und Nachteile von Online-Kommunikation im Vergleich zur Co-Präsenz-Kommunikation ergibt – nicht wirklich überraschend – ein widersprüchliches Bild, das aufzeigt, wie sehr in spezifischen Situationen jeweils unterschiedliche Schwerpunktsetzungen erforderlich sind.
Remote Work leistet erwartungsgemäß eben nicht dasselbe wie Kooperation im Präsenzmodus. Darin nur eine Verlustanzeige zu sehen, wäre allerdings verkürzt; – in durchaus relevanten Aspekten lassen sich bei intelligentem Einsatz in geeigneten Situationen einige bedeutende Vorteile feststellen. Andererseits lässt die anfangs so häufig mit positiver Überraschung festgestellte (lediglich) funktionale Äquivalenz von Online-Meetings eine Effizienzoptimierung nur bei oberflächlicher Betrachtung vermuten. Der flüchtige Blick würde die vielfältige Bedeutung von (auch informeller) Face-to-Face-Kommunikation übersehen.

Für die möglichst umfassende Betrachtung und Konzeption geplanter Aktivitäten sowie für die Bewertung beobachtbarer Konsequenzen bieten sich die – nach wie vor ungenügend berücksichtigten – Prinzipien einer humanistisch verfassten Betrachtung der arbeitsweltlichen Bedingungen an, die sich kurz und bündig durch die Berücksichtigung von physiologischen Erfordernissen und psychologischen Grundbedürfnissen nach Autonomie, Kompetenzerleben und sozialer Eingebundenheit(25) darstellen lassen.

Die hier in diesem Zusammenhang angedeuteten vielschichtigen konfigurierenden Bedingungen und Auswirkungen in Hinsicht auf gesellschaftspolitische, organisationale, rechtliche, arbeitsmedizinische und psychosoziale Aspekte sollten beim Einsatz von Remote Work und Homeoffice sorgfältige Beachtung finden.

Grafik Potpourri

© Peter Frenzel, im Juni 2021, www.tao.co.at 

 


Anmerkungen/ Fussnoten/ Quellenangaben:

 (1) So lautet der Titel eines von Stefan Kühl publizierten Essays - Kühl, S. (2020): Jeder lacht für sich allein. Zum Unterschied von Interaktion unter Anwesenden und unter Abwesenden. https://pub.uni-bielefeld.de/record/2943064 Zugriff am 20.5.2021

(2) Diese Vermutung ergibt sich schon alleine durch die Tatsache, dass zwischenzeitlich viel in die nötige Infrastruktur investiert wurde. Eine österreichische Befragung zeigt, dass mehr als 80% befragter Unternehmen erwarten, dass sich Homeoffice dauerhaft etablieren wird. Siehe dazu: https://www2.deloitte.com/at/de/seiten/human-capital/artikel/flexible-working-studie.html, Zugriff am 23.5.2021

(3) Siehe dazu: Schumpeter, J.A. (2005):  Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. Stuttgart (UTB)

(4) Siehe dazu: Christensen, C.M. (2011):  The Innovator’s Dilemma. Warum etablierte Unternehmen den Wettbewerb um bahnbrechende Innovationen verlieren. München (Vahlen)

(5) Wie verschiedentlich schon ausgeführt, soll nie übersehen werden, dass der Begriff des „Social Distancing“ nicht nur irreführend ist, sondern mitunter schädliche Auswirkungen bringen kann. Die in der Öffentlichkeit gewählte Begrifflichkeit zeigt ein Missverständnis deutlich auf: Sozialität in einem engen Verständnis als physisch am selben Ort anwesende, interagierende Körper zu definieren, verrät eine (irreführende) Selbstbeschreibung als „Anwesenheitsgesellschaft“, die es als solche - historisch betrachtet - schon längst nicht mehr gibt. Schon spätestens beginnend ab 1861 (Erfindung des „Telephons“ durch den Physiklehrer Philipp Reis) wurde und wird unser gesellschaftliches Miteinander durch Medien substanziell geprägt und beeinflusst.
(Vgl. dazu z.B.: Mau, S.: Social Distancing ist irreführend, es gibt einen passenderen Begriff. In: Tagesspiegel vom 01.04.2020. https://www.tagesspiegel. de/politik/unterschied-zwischen-physischer-und-sozialer-naehe-social- distancing-ist-irrefuehrend-es-gibt-einen-passenderen-begriff/25699794. html;
oder: de Witte, M. / Zaki, J. (2020): Instead of Social Distancing, Practice ›Distant Socializing‹ Instead, Urges Stanford Psychologist. In: Stanford News vom 19.03.2020. https://news.stanford.edu/2020/03/19/try-distant- socializing-instead/)

(6) Siehe dazu insbes. Crouch, C. (2011): Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus. Postdemokratie II. Berlin (Suhrkamp)

(7) Siehe dazu Mausfeld, R. (2018): Warum schweigen die Lämmer? Wie Elitendemokratie und

Neoliberalismus unsere Gesellschaft und unsere Lebensgrundlagen zerstören. Frankfurt (Westend)
(8) Rosa, H. (2013): Beschleunigung und Entfremdung. Berlin (Suhrkamp) 2013, S. 54

(9) Der Begriff der „Anverwandlung“ wird von Harmut Rosa im Rahmen seiner „Resonanztheorie“ eingeführt und soll als Gegenbegriff zu Formen der „Aneignung“ verstanden werden. Letzteres meint eine Form der bloßen Ressourcenerweiterung, am Beispiel „Lernen“: „Anverwandeln meint, sich einen Weltausschnitt, einen Stoff so anzueignen, dass man sich selbst dabei verwandelt. Das Subjekt be- und verarbeitet den Stoff und verändert sich selbst ebenso wie den bearbeiteten Weltausschnitt. Im Gegensatz dazu bedeutet reines Aneignen nur, sich etwas einzuverleiben, es unter Kontrolle zu bringen oder verfügbar zu machen.“ (Rosa, H./Endres, W. (2016): Resonanzpädagogik. Wenn es im Klassenzimmer knistert. Weinheim (Beltz), S. 124; siehe dazu auch: Rosa, H. (2016): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin (Suhrkamp)

(10) Der Begriff der „Affordanz“ geht auf den amerikanischen Wahrnehmungspsychologen James J. Gibson zurück. Der Begriff soll die Komplementarität von Umwelt und Lebewesen zum Ausdruck bringen. Die konkrete Ausgestaltung der Dinge (der Natur) ergibt ein Angebot im Sinne einer Handlungsanregung, die ein bestimmtes Verhalten möglich bzw. unmöglich machen; die Gegenstände sagen uns gewissermaßen, was wir mit ihnen tun sollen („Forderungscharakter“). So ist z.B. ein Sessel eine Affordanz für das Sitzen, die Schere für das Schneiden und so weiter. Dieses „Angebot“ ändert sich auch nicht, wenn sich das Bedürfnis des Beobachters ändert. (Literatur: Gibson, J. J. (1982): Wahrnehmung und Umwelt. Der ökologische Ansatz in der visuellen Wahrnehmung. München (Urban & Schwarzenberg)

(11) Siehe Speck, S.: Zitat. In: Volkmer, M. / Werner, K. (Hg.) (2020): Die Corona-Gesellschaft. Analysen zur Lage und Perspektiven für die Zukunft. Bielefeld (transcript) 2020, S. 87

(12) Siehe dazu z.B.: Lessenich, S. (2016): Neben uns die Sintflut. Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis. Berlin (Hanser)

(13) „Rebound-Effekt“ (auch „Bumerang-Effekt“) bezeichnet einen unerwünschten Effekt nach (technisch) erzielten Effizienzsteigerungen. Die gesenkten Kosten für Produkte und Dienstleistungen können dazu führen, dass sich das Verhalten von Nutzer*innen ändert, indem in Folge mehr verbraucht wird, was die ursprünglichen Einsparungen womöglich wieder aufhebt. Im Kontext ökologischer Problemstellungen wirkt sich das dann eben im Endeffekt sogar negativ aus; so führt bspw. die reduzierte CO2-Belastung durch technologische Errungenschaften und einer damit verbundenen Kostenreduktion zu einer intensiveren Nutzung des Produkts, zu einem vermehrten Kauf solcher Technologien oder auch dazu, dass die freigewordenen finanziellen Mitteln für Produkte eingesetzt werden, die den Energieverbrauch letztendlich ansteigen lassen.

(14) Korunka, C. (2020): Arbeiten im Home Office: Lernen aus der Krise. In: Guérot, U./Korunka, C./Prainsack, B./Psota, G. (Hg.): Protokolle der Krise. Wie Corona unser Leben verändert. Wien (Wiener Vorlesungen • Picus) 2020, S. 43-53

(15) Zum Begriff der „Affordanz“ siehe Fußnote (10)

(16) Festinger, L. (1978): Theorie der kognitiven Dissonanz. Bern (Huber) 1978

(17) Kohse, P. (2020). Tretminen überall. Frankfurter Rundschau, 27.04.2020, S.10.

(18) Kunert, S. (2020): Grenzen der Online-Kommunikation. Zur Kommunikationspsychologie virtueller Coachings und Meetings. In. Coaching Magazin; https://www.coaching-magazin.de/beruf-coach/grenzen-der-online-kommunikation Zugriff am 20.5.2021

(19) Siehe dazu: https://www.twitterperlen.de/die-twitterperlen-des-tages-vom-10-maerz-2020/ Zugriff am 21.5.2021

(20) Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz AVRAG § 2h (3): Die/der Arbeitgeber*in hat die für das regelmäßige Arbeiten im Homeoffice gegebenenfalls erforderlichen digitalen Arbeitsmittel bereitzustellen. Davon kann durch Vereinbarung abgewichen werden, wenn die/der Arbeitgeber*in die angemessenen und erforderlichen Kosten für die von der/dem Arbeitnehmer*in für die Erbringung der Arbeitsleistung zur Verfügung gestellten digitalen Arbeitsmittel trägt. Die Kosten können auch pauschaliert abgegolten werden.
HINWEIS: Auf die vielfältigen rechtlichen Konsequenzen, die sich aus Homeoffice-Tätigkeiten ergeben (Form der Vereinbarungen, Mitwirkungsrechte des Betriebsrats, Datenschutzbestimmungen, Vergütungsregelungen bei Schäden, um hier nur einige Aspekte exemplarisch zu nennen), kann hier selbstverständlich nicht eingegangen werden. Dazu fand kürzlich eine TAO-Veranstaltung mit ausgewiesenen Experten statt (Webinar).

(21) Eine aktuelle Befragung zeigte, dass annähernd zwei Drittel(!) der Befragten keinerlei Information oder Beratung zur gesunden Gestaltung des Homeoffice-Arbeitsplatzes von ihrem Arbeitgeber erhielten. (Flecker, J./Herr, B./Schadauer, A. (2020): Arbeitszeit, Erreichbarkeit und selbstbestimmtes Arbeiten im Home Office, unveröff. Projektbericht, Wien.
Unterstützung findet sich im Internet - siehe dazu den Leitfaden des Bundesministeriums für Arbeit - „Ergonomisches Arbeiten im Homeoffice“: https://www.bma.gv.at/Services/News/Leitfaden-Homeoffice.html Zugriff am 24.5.2021

(22) Siehe dazu insbes..: Herzberg, F.: One more time: how do you motivate employees? In: Harvard Business Review. 46, 1, 1968, S. 53–62.

(23) Siehe dazu: Speck, S. (2020): Zuhause arbeiten. Eine geschlechtersoziologische Betrachtung des ›Homeoffice‹ im Kontext der Corona-Krise. In: Volkmer, M. / Werner, K. (Hg.) (2020): Die Corona-Gesellschaft. Analysen zur Lage und Perspektiven für die Zukunft. Bielefeld (transcript) 2020, S. 135-141

(24) Siehe dazu: Dickel, S. (2020): Gesellschaft funktioniert auch ohne anwesende Körper. Die Krise der Interaktion und die Routinen mediatisierter Sozialität. In: Volkmer, M. / Werner, K. (Hg.) (2020): Die Corona-Gesellschaft. Analysen zur Lage und Perspektiven für die Zukunft. Bielefeld (transcript) 2020, S. 79-86

(25) Siehe dazu: Ryan, R.M. / Deci, E. L. (2017): Self-determination Theory: Basic Psychological Needs in Motivation, Development ans Wellness. New York (Guilford Press)

Bilder/Grafik/Fotoquellen: pixabay, pexels, tao

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