TAO Unternehmensberatung

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NEIN-Sagen: Eine Vorbedingung selbstbestimmten Handelns?! - Hinweise auf hilfreiche Grenzen der Gefälligkeit

„So mancher meint, ein gutes Herz zu haben, und hat nur schwache Nerven." (Marie v. Ebner-Eschenbach)

Mit übler Laune und ohne jede Freude erledigt Manfred als Teamleiter die übernommene Aufgabe. Weder hat er sich vorstellen können, welche Folgewirkungen die mit „sanftem Druck“ erzwungene Zusage hat, ein angeblich ohnehin nur „knapp und schlicht“ benötigtes Protokoll des vergangenen Teamleiterworkshops zu verfassen, noch war ihm klar, dass es zudem eine nur äußerst knapp bemessene Frist gibt, die unliebsame Aufgabe zu erledigen.

Bei verspäteter Abgabe, so wurde ihm in nachfolgenden Gesprächen klar gemacht, sind Konsequenzen zu befürchten, die er dann eben alleine zu verantworten hätte. Spontan wollte er ja die direkte Aufforderung an ihn, sich doch als Protokollant zur Verfügung zu stellen, ablehnen. Er ahnte ja irgendwie, dass dann im Nachhinein wahrscheinlich wieder das mühsame Einsammeln der verschiedenen Berichte aus den aktuellen Projekten droht. Unbedingt, so wurde von allen gefordert, sollten diese Statusberichte Teil des Protokolls sein, und jeder der anderen Teamleiter*innen beteuerte, er würde seinen Mitarbeitenden klar machen, dass sie dringend diese Berichte liefern sollten. Das würde sicher schnell erledigt sein und außerdem, wollte man unbedingt ihn gewinnen, wisse man doch, dass es wohl Niemandem hier so leicht fiele, treffende Formulierungen zu finden und kein zweiter im gesamten Unternehmen habe eine so umfangreiche Übersicht über die aktuell gegebene Projektlandschaft. Voller Ärger über sich selbst und von permanenten Selbstvorwürfen geplagt, beschweren die vielfältigen Nebenwirkungen dieser leichtfertigen Zusage jetzt das aktuelle Arbeitsleben; ja mehr noch, es fällt Manfred zunehmend schwer seine eigene Laune nicht in Situationen auszuleben, die ganz im Gegenteil besondere Rücksicht auf Andere verlangen würden; - es gab deshalb schon die eine oder andere unangenehme und ganz sicher unnötige Konfliktsituation. Immer wieder quälen ihn dann bedauernde und reuevolle Gedanken: „Hätte ich doch nur meiner inneren Stimme folgend Nein gesagt! Wieder einmal ist mir meine Gutmütigkeit zur eigenen Last geworden, wieso nur, fällt es mir so schwer ‚Nein‘ zu sagen? Ich wollte wahrscheinlich wieder einmal besonders gut dastehen und wohl auch Konflikte vermeiden, die ich jetzt als Folge meiner vorschnellen Zusage, erst recht zu bewältigen habe. Das kommt davon, wenn man die eigenen Bedürfnisse ignoriert!“

Situationen, die ein vertretbares „Nein“ erfordern

Zahlreiche Rückmeldungen in unseren Seminaren und Workshops weisen in diese Richtung: Nein-Sagen erachtet wohl jede/r als eine wichtige Voraussetzung für eine möglichst weit reichende Selbstbestimmung im Arbeits- und Privatleben. Dennoch fällt es schwer. „Zeit haben heisst Nein sagen“[1] - diese Allerweltsweisheit ist sicher nicht neu, und trotzdem ergibt sich immer wieder ein quälendes Nachentscheidungsbedauern[2] als Folge von Zusagen, die trotz innerer Warnungen und vorausschauender Gewissheit in Hinsicht auf nachfolgende Reue, ausgesprochen werden.

In welchen Situationen sollte man sich denn nun besonders dieser Gefahr bewusst sein, welche Situationen erfordern geradezu ein „Nein“, in welchen Momenten ist es auch legitim und vertretbar sich abzugrenzen?

Nachfolgende Auflistung ist sicher nicht erschöpfend:

  • Situationen, in denen funktionale Unklarheiten bestehen; daraus ergeben sich häufig Versuche, Aufgaben zu übertragen , die (erst bei genauerer Betrachtung) eigentlich in den Zuständigkeitsbereich eines oder einer Anderen fallen (sollten);
  • diese nicht selten anzutreffenden Konstellationen, ergeben dann übernommene Aufgaben, für die man sich die nötige Sachkenntnis oder das erforderliche Können erst mühevoll aneignen müsste, obwohl eine andere Person aufgrund ihrer Zuständigkeiten schon einen sehr viel tiefergehenden Informationsstand und mehr Erfahrung hätte.
  • Weiters sind Aufgaben im Kontext von „Nebenprojekten“ zu nennen, die bei Übernahme dazu führen, dass im Kontext anderer - im Vergleich dazu sehr viel wichtigeren - Aufgaben die erforderliche Konzentration zu fehlen beginnt; oder
  • wenn sich durch die Einwilligung eine Situation ergibt, durch die sich ihre klar entschiedenen(!) Prioritäten nicht mehr berücksichtigen lassen.
    Hier ist noch der Hinweis wichtig, dass diese Priorisierungen sich idealerweise nicht nur durch Dringlichkeiten ergeben (womöglich durch vorangegangene unterlassene Abgrenzungen gegenüber unnötigen oder unpassenden Aufträgen), sondern auf Basis tatsächlich reflektierter Wertentscheidungen. Wir verleihen Aufgaben einen Wert, indem wir sie priorisieren. Damit hängen Zeiteinteilung und Wert untrennbar zusammen. Wird das ausreichend reflektiert, dann - so zeigt die Erfahrung - fällt es auch leichter ein „Nein“ zu äußern: Wird dadurch doch erst die Chance eröffnet, einen eigenen Wert auch tatsächlich zu leben. Das wird sich auf Klarheit und nötigen Nachdruck beim Nein-Sagen günstig auswirkendeadline pixabay. Durch ein vorschnelles und unreflektiertes „Ja“, ist nicht weniger gefährdet als die eigene, selbstbestimmte Lebensgestaltung nach eigenen als wichtig erachteten Werten.
    Auch wenn das in diesem Zusammenhang auf den ersten Blick geradezu pathetisch klingen mag: Ein gelungenes Leben wird in Anerkennung seiner Befristung gelebt, und nicht in einer Sklaverei von Terminen. Der so häufig vorzufindende Begriff der „Deadlines“ offenbart recht unverhohlen, worum es eigentlich tatsächlich geht: Der Diktatur behaupteter Dringlichkeit letztlich unbedeutender Aufgaben vor Hintergrund begrenzter Zeit und im Interesse eines erfüllten Lebens zu widerstehen. „Zeit ist Frist“, formulierte in diesem Zusammenhang der Philosoph Odo Marquard[3].
  • Sollte versucht werden Aufgaben zu übertragen, deren Sinn sich trotz versuchter Klärung nicht erschließt, dann sollte man das auch mit entsprechender Begründung ablehnen (typischerweise sind das Aufgaben, die kurzfristig schon „gut auf dem Weg sind“, langfristig aber eben nicht wirklich sinnvoll erscheinen).
  • Es könnten Aufgaben „offeriert“ werden, deren Übernahme zwar mit bedeutenden Zeitverlusten verbunden wären, die Gegenleistung aber dazu in keinem vertretbaren Verhältnis stehen (Stichwort: ungünstiges Nutzenkalkül).
  • Dazu könnte man auch die sicher jedem bekannten Situationen rechnen, in denen man mit dem Mitteilungsbedürfnis von jemanden konfrontiert ist, der ganz offensichtlich selbst nur auf der Flucht vor unliebsamen Verpflichtungen ist;
  • oder auch die Konfrontation mit persönlich geäußerten Bitten, die einem vor Hintergrund der bestehenden Beziehung eigentlich unpassend erscheinen.
  • Auch offenkundig versuchte „Erpressungen“ sollte man ansprechen und klar sich dagegen abgrenzen, anderenfalls wäre das nur eine Einladung weiterhin so zu verfahren.
  • Selbstverständlich gilt es aber auch, sich gegenüber eigenen Anmutungen abzugrenzen: Hier wären jede Form von (willkommenen) Ablenkungen, Verlockungen, kleinen Wünschen zu nennen, wenn sie nur auf Kosten von viel wichtigeren Bedürfnissen und/oder bedeutenden Aufgaben zu realisieren wären.

Wie erwähnt, ließe sich diese Liste sicherlich noch fortsetzen. Wesentlich scheint noch darauf hinzuweisen, dass mit der Parteinahme für ein klares „Nein“ keineswegs eine Haltung propagiert werden soll, die ohne jede soziale Rücksicht nur die eigenen Vorteile zu verteidigen sucht. Eine differenzierte weil sorgfältig reflektierte Selbstfürsorge ist von selbstsüchtigem Verhalten strikt zu unterscheiden. Diese Differenzierung scheint gerade in Zeiten des ungebremst forcierten Neoliberalismus als Lebens- und Werthaltung bedeutsam. Wie oft hört man Aussagen wie: „Sei ganz Du selbst und hör auf, dich ständig um andere zu kümmern, sonst gehst Du unter. Schließlich ist sich jeder selbst der Nächste. Verantwortlich bist Du nur für Dich selbst!“

Solche und ähnliche Aussagen, womöglich noch gestützt mit allerlei „Weisheiten“ aus einer Psychopopkultur befördern eine Haltung, die als „Emanzipation 2. Ordnung“ bezeichnet wurde: Man pfeift auf die permanente Forderung nach „politisch korrektem“ Verhalten und gefällt sich darin, einem von sogenannten „Gutmenschen“ angeblich vorgegebenen Mainstream in einer seltsamen Spielart von „Zivilcourage“ zu widerstehen.

„Jeder ist seines Glückes Schmied“, einer der zentralsten neoliberalen Slogans, versucht ideologisch ein Programm zu stützen, das uns unweigerlich und mittlerweile unübersehbar ins Unglück führt. Es gilt, so das mehr oder weniger unterschwellige Credo, eine Gesellschaft zu realisieren, in der es von starken, angeblich selbstverwirklichten Einzelnen wimmelt. Die daraus folgende Forderung nach Selbstoptimierung bringt als eine Art „Kollateralschaden“ eben ausgefahrene Ellbogen als Ausdruck erodierender Solidarität und mangelnder Hilfsbereitschaft mit sich. Wer sich dagegen nicht ausreichend wehren kann, ist letztlich selbst dran schuld, schließlich steht es ja jedem frei sich abzugrenzen. Eine solche Haltung negiert ein Schicksal, das uns Menschen unentrinnbar gegeben ist. Unsere Beziehungsangewiesenheit als conditio humana lässt sich nur scheinbar und zeitlich begrenzt abdunkeln. Das Urverhältnis menschlicher „Sorge“ tritt spätestens in Krisenzeiten voll ins Licht: Die Spannung der Sorge um sich selbst, die Selbstfürsorge, vor Hintergrund der Sorge um und für den Anderen, die solidarische Fürsorge.

Welche „guten Gründe“ sprechen für ein vertretbares „Nein“?

Die wohl bedeutsamste und gleichzeitig allgemeinste Begründung ist in einer altbekannten, existenzialistisch getönten Weisheitsregel schnell gefunden: Nur allzu häufig ist ein „Ja“ vor Hintergrund begrenzter Zeit gleichbedeutend mit einem „Nein“ für eine dadurch nicht mehr realisierbare Option.

Sowohl in meiner psychotherapeutischen Praxis, als auch in zahlreichen Coachings, lässt sich immer wieder der zweischneidige Charakter der privilegierten westlichen Konsumgesellschaft feststellen. Die „Multioptionsgesellschaft“, so die von Peter Gross[4] treffend formulierte Bezeichnung, bewirkt ein als unendlich erlebtes, individuell drängend empfundenes und kollektiv permanent befördertes Begehren nach „Mehr“. Die als „grenzenlos“ suggerierten Wahlmöglichkeiten führen nicht nur immer wieder zu überfordernder Desorientierung, sondern auch mitunter zu einer lähmenden Stagnation. Das Bewusstsein, dass jede getroffene Entscheidung im Rahmen der gegebenen Vielfalt an Möglichkeiten in Hinsicht auf Konsumgüter und Unterhaltungsangeboten, sich nur auf Kosten dadurch unterlassener Optionen realisieren lässt, bewirkt nicht selten eine ernstzunehmende psychische Belastung. Im Hintergrund stehen tatsächlich existenzielle Fragen: Nicht nur „Was will ich (wirklich)?“, sondern - sehr viel grundsätzlicher damit verbunden - „Wer bin ich (wirklich)?“

Multioption question mark pixabayIm Zusammenwirken mit einer sich daraus ergebenden, permanenten Angst etwas zu verpassen oder ungenutzt zu lassen, wird verständlich, dass sich „Depression“ als eine der häufigsten Zivilisationserkrankungen in westlichen Gesellschaften entwickeln könnte[5]. Angetrieben von omnipräsenten („sozialen“) Medien ergibt eine bildgewaltig offerierte, überwältigende Vielfalt an Optionen eine historisch einzigartige Situation: Die erlebte Kluft zwischen dem, was man könnte und dem, was sich tatsächlich in zunehmend verknappt erlebten Zeiträumen realisieren lässt, wächst ins persönlich Unerträgliche. Der täglich getriggerte Reiz des Potenzials stellt derart viel zur Disposition, dass eine depressive Resignation folgelogisch scheint. Wird schließlich gar „das Leben als letzte Gelegenheit“[6] (so ein treffender Buchtitel) erlebt, dann ist eine Art „existenzieller Stress“ die Folge und gleichzeitig als einziger Ausweg die Herausforderung adressiert, persönliche Voraussetzungen zu entwickeln an den richtigen Stellen ein klares „Nein“ artikulieren und vertreten zu können.

Die hier angesprochenen Vorbedingungen führen in ein besonders schwieriges Gelände psychosozialer, gesellschaftspolitischer wie auch ethischer Erwägungen: Wie lassen sich eigene Bedürfnisse möglichst unverzerrt erkennen und davon ausgehend dann eine tägliche Lebensgestaltung realisieren, die diesen Bedürfnissen in einer Weise Rechnung trägt, die auch die Bedürfnisse aller anderen Lebensformen ausreichend berücksichtigt?

Die damit verbundenen Fragen sind derart schwierig, dass sie an dieser Stelle nur als Andeutung ins Treffen geführt werden können. Ist damit doch nicht weniger angesprochen, als diese so weit reichende Unterscheidung von „wahren“ und „falschen“ Bedürfnissen, wie sie insbesondere in den 1960er-Jahren von der „Kritischen Theorie“ entwickelt wurde.

Sofort erhebt sich dabei die Frage, wer denn in berechtigter Weise eine solche Unterscheidung treffen dürfe. Ist damit nicht die Behauptung im Raum, wir selbst als durchschnittliche Konsumenten würden nicht mehr wirklich wissen, was wir „eigentlich“ wollen? Sind wir also als permanente Adressaten gewiefter indoktrinatorischer Propaganda schon womöglich daran gehindert ein klares „Nein“ zu artikulieren, weil es bereits daran fehlt zu erkennen, wozu wir „eigentlich“ ein „Ja“ sagen wollen?
„Protect me from what I want“ - so formulierte 1982 die Künstlerin Jenny Holzer auf einem Light Board am Times Square in New York einen Stoßseufzer, der seinen Ursprung in diesem so tiefreichenden Dilemma hat. Der mittlerweile althergebrachte Begriff der „Entfremdung“ ist hier in assoziativer Nähe und erneut sind enorm schwierige Fragen aufgeworfen:

„Welches Tribunal kann für sich die Autorität der Entscheidung beanspruchen? In letzter Instanz muss die Frage, was wahre und falsche Bedürfnisse sind, von den Individuen selbst beantwortet werden, das heisst sofern und wenn sie frei sind, ihre eigene Antwort zu geben. Solange sie davon abgehalten werden, autonom zu sein, solange sie (bis in ihre Triebe hinein) geschult und manipuliert werden, kann ihre Antwort auf diese Frage nicht als ihre eigene verstanden werden.“ (siehe Marcuse 1968, 26) Wenn man dabei davon ausgeht, dass unsere Bedürfnisse zugleich eine Art Garant und „Kompass“ für ein möglichst selbstbestimmtes Leben sein müssten und damit die unhintergehbare Voraussetzung für kollektiv unternommene Befreiungsbewegungen; sie eben aber auch unter bestimmten gesellschaftlichen Voraussetzungen das berühmte „Opium fürs Volk“ ermöglichen, das uns gegen beabsichtigte Unterdrückung blind und taub stellt, dann gilt es insbesondere die „gesunden“ Bedürfnisse zu entdecken und zu fördern. Die Basis einer solchen Unterscheidung bildet eine aus Sicht der Humanistischen Psychologie geradezu unerschütterliche Überzeugung, dass der behauptete gesellschaftsweit etablierte Entfremdungszusammenhang nicht gänzlich fugendicht ist. Die Sehnsüchte nach einem „wahren Leben im Falschen“[7], und das zeigt sich in meiner eigenen Therapie- wie auch Beratungspraxis deutlich, sind eben nicht zur Gänze auslöschbar. Verschiedene Psychotherapieverfahren, die sich in diesem Sinne als „emanzipatorisch aufdeckend“ verstehen, können hier tatsächlich Unterstützung bieten, wenn es gilt, eine sehr grundsätzliche Voraussetzung für ein dann wirklich authentisches „Nein“ bzw. „Ja“ zu schaffen. Carl Rogers hat dafür, auf Basis sorgfältiger und jahrelanger empirischer Forschung, ein theoretisches Persönlichkeitsmodell entworfen, das als eine idealtypische Konstruktion einem „Ziel der sozialen Evolution“ (Rogers 1987, 59) gleichzusetzen wäre. Eine Zielsetzung freilich, die in gegebenen gesellschaftlichen Zusammenhängen explizit als „hypothetisch“ ausgewiesen bleiben muss. Dieses als „fully functioning person“ (ebd., 59ff) bezeichnete Konzept bietet, verbunden mit daran anknüpfenden Aussagen zur Therapiepraxis[8], eine hilfreiche Orientierung sowohl für psychosoziale Arbeit, wie auch für die lebenslange Aufgabe eigener Persönlichkeitsentwicklung.

Die Fähigkeit auf Basis persönlich tatsächlich bedeutsamer Bedürfnisse „Nein“ zu sagen, ist also - bei genauerer Betrachtung - nicht immer schnell und einfach herbeizuführen. Nicht weiter verwunderlich, dass die üblichen Appelle aus der zahlreich produzierten Ratgeberliteratur meist völlig zu kurz greifen. Einfach nur herauszufinden, so die typische Empfehlung, „was einem wirklich Spaß macht, was einem wirklich etwas gibt“, dann die persönlich richtigen Prioritäten zu setzen, das „Nein“ täglich zu trainieren und so weiter … alle diese Aufforderungen ergeben nur ein weiteres Mal eine Art Zwang zur Selbstoptimierung, der womöglich zusätzlichen Frust erzeugt, wenn es dann, trotz guter Vorsätze, nicht und nicht gelingen will.

Typische „innere Hindernisse“ für ein klares „Nein“

Wie lassen sich nun durch eine phänomenologische Betrachtung die typischen „inneren“ Hindernisse identifizieren, die einer klaren Abgrenzung gegenüber Strategien zur Erfüllung eigentlich „falscher“ Bedürfnisse entgegenstehen? In welchen inneren „Scripts“ finden sich die typischen „Fallen“, die eine eigentlich unpassende Gefügigkeit oder eine nicht wirklich auf Basis eigener Motive gegründete Gefälligkeit ergeben?

In mittlerweile zahlreichen Seminaren zum Thema „Stressbewältigung - Zum Umgang mit Vielfalt und Zeitdruck“ oder „Selbstorganisation im Arbeitsleben“ u. dgl. konnten wir durch Befragung der Seminarteilnehmenden eine nun schon umfangreiche Sammlung anlegen.

Folgende innere Motive, Glaubenssätze oder Befürchtungen, die immer wieder das klare „Nein“ verhindern, wurden genannt:

  • Konfliktscheu: Ausgehend von der sicheren Annahme, dass der oder die Andere sich heftig gegen das „Nein“ wehren wird, taucht die bange Frage auf, ob man denn genügend Stärke oder Widerstandskraft entwickeln kann, bei der Verteidigung des eigenen Bedürfnisses Stand zu halten. Um eine solche Auseinandersetzung zu vermeiden, wird dann, anstelle des spontan gedachten „Nein“, ein später dann bereutes „Ja“ geäußert.
  • Falschannahmen: Ungeprüft wird vermutet, dass der oder die Andere mit Sicherheit meine Bedürfnisse nicht berücksichtigen wird. Es wird befürchtet, der eigene Wunsch, der dem Anliegen des Anderen entgegensteht, könnte als unangemessen erlebt werden. Vielleicht gibt es sogar die implizite Idee, die eigenen Bedürfnisse hinter dem nötigen „Nein“ wären ohnehin nicht erfüllbar.
    Eine häufige Spielart solcher Falschannahmen ist auch die Idee, es würde (und müsste) doch reichen, wenn man die eigenen Bedürfnisse nur zart andeutet; das Gegenüber müsse doch aus einer kleinen Andeutung heraus schon erkennen können, was einem da jeweils antreibt. Umso größer ist nachfolgend die Enttäuschung und der Groll, wenn das dann eben nicht funktioniert.
  • Schutzbestrebungen in Hinsicht auf das eigene Selbstbild: Ein „Nein“ könnte beim Gegenüber das Bild ergeben, man wäre ein egoistischer Mensch, man wäre selbstsüchtig, nicht empathisch oder sozial „kalt“ u. dgl. Alles das wären Zuschreibungen, die so sehr dem eigenen Selbstideal widersprächen, dass vieles akzeptiert wird, nur um weiterhin - insbesondere vor sich selbst - als ein guter Mensch dastehen zu können und - vor allem - weiterhin sozial integriert zu bleiben.
  • Soziale Verlustängste: Bedenkt man die enorme Wirkmächtigkeit des vermutlich bedeutsamsten psychischen Grundbedürfnisses, das gelungene soziale Eingebundensein, dann wird verständlich wie vielfältig sich hier anknüpfende Ängste in Hinsicht auf ein unterlassenes „Nein“ auswirken können. Man könnte z.B. als unverschämt gelten und es wird fix vermutet, dass ein „Nein“ die gegebenen Beziehungen nachhaltig beschädigt; man könnte abgelehnt werden, die Sympathie verlieren und letztlich sogar sozial ausgeschlossen werden.
    Nicht selten lauern bei solchen inneren Dynamiken entsprechende frühe Erfahrungen, die in diesen Situationen dann gewissermaßen wieder aufzuflammen drohen. Kindliche Erfahrungen von sozialer Zurückweisung werden wiederbelebt und entsprechend regressiv sind dann die daraus resultierenden Verhaltensweisen.
  • Angst vor Verbindlichkeiten: Würde bei einem „Nein“ das Gegenüber tatsächlich auf die dadurch offenkundig gewordenen Bedürfnisse eingehen, schließlich sein ursprüngliches Anliegen sogar aufgeben und einem solcherart eine Gefälligkeit erweisen, dann würde das in vergleichbaren Situationen mit umgekehrtem Vorzeichen ja (berechtigt) womöglich auch erwartet werden. Eine solche Verpflichtung gilt es dann zu vermeiden, also folgt ein „Ja“ obwohl die Bedingungen recht deutlich ein „Nein“ benötigen würden.
  • Bequemlichkeit: „Ja“ zu sagen wird als die einfachste Methode wahrgenommen, um erwartbare Schwierigkeiten zu vermeiden. Es ergeben sich faule Kompromisse und das „dicke Ende“ wird nicht lange auf sich warten lassen. „Bumerang-Effekte“, so wird das manchmal genannt, ergeben sich durch die Wiederkehr der dann doch zu bewältigenden Probleme, die man ursprünglich, einer trügerischen Hoffnung folgend, vermeiden wollte.
  • Verantwortungsvermeidung: Man will keineswegs den vermuteten Preis dafür bezahlen, wenn wir auf unseren Bedürfnissen beharren, das könnte, wie schon erwähnt, Konflikte bewirken und Konsequenzen mit sich bringen, die man dann noch dazu selbst zu verantworten hätte. Zudem könnte man zur Verantwortung gezogen werden, wenn ein „Nein“ zu einem Ergebnis führt, das von vielen Anderen als unangenehm empfunden wird.
  • Angst etwas zu versäumen: Es könnte das Bedürfnis, möglichst nichts zu versäumen (siehe dazu oben) dazu führen, dass man Aufgaben oder Gefälligkeiten wider eigentlicher Bedürfnisse oder Prioritäten übernimmt, weil man meint, dadurch „am Laufenden“ zu bleiben, „dabei bleiben“ zu können, was nicht möglich wäre, wenn man den eigenen, eigentlichen Wünschen oder Prioritäten folgt.
  • Pflichtempfinden: Sehr häufig herrscht die Haltung vor, dass eine einmal zugesagte Übernahme von Aufgaben, nie wieder korrigierbar ist. Man propagiert und lebt die berühmte „Handschlagqualität“; - auch dann, wenn längst hervorgekommen ist, wie bspw. geänderte Bedingungen dazu führen, dass die Aufrechterhaltung der Zusage schon weitreichend auf eigene Kosten geht und womöglich selbstschädigende Konsequenzen hat (siehe dazu unten). Um Schuldgefühle zu vermeiden wird also die Erledigung der einmal zugesagten Gefälligkeit unter Missachtung eigener Bedürfnisse fortgesetzt.
  • Gewohnheit: Diese Variante der unterlassenen Abgrenzung gegenüber eigentlich abzulehnenden Anliegen ist die wohl unauffälligste und entspringt letztlich bloß einem Mangel an Aufmerksamkeit; man sagt „Ja“, weil man solche Ansinnen eben immer schon zur eigenen Aufgabe gemacht hat, obwohl es womöglich bei genauer Betrachtung gar keine Zuständigkeit dafür gibt.
    Eine besondere Spielart dieses - hier recht harmlos als „Gewohnheit“ bezeichneten - Hindernisses für ein eigentlich angebrachtes „Nein“ ergibt sich aus der Genderperspektive. Die Beispiele, die uns in dieser Hinsicht genannt wurden, sind nach wie vor zahlreich. Immer wieder ergeben sich im Privat- wie im Berufsleben Situationen, in denen, gemäß den nach wie vor wirkmächtigen geschlechtsspezifischen Klischees und Rollenzuschreibungen, bestimmte Aufgaben verteilt werden. Man denke in diesem Zusammenhang nur daran, wer in den typischen Besprechungssituationen für das leibliche Wohl der Teilnehmenden zu sorgen hat. Meist sind diese Rollenerwartungen derart unhinterfragt, dass gar keine Möglichkeiten eröffnet werden „Nein“ sagen zu können. Schon nonverbal werden entsprechende Signale gesetzt und nach wie vor auch entsprechend häufig sofort positiv diese Anliegen serviciert.

Typische Strategien, um trotz Widerständen ein „Ja“ zu bewirken

Als besonders hilfreich hat sich in unseren Seminaren erwiesen, die Teilnehmenden mit einer persönlichen Forschungsfrage zu konfrontieren: Welche strategischen Manöver, die immer wieder dazu führen, dass wider eigentlich ablehnender Impulse, ein Auftrag übernommen wird, sind ihnen aus ihrem Alltag bekannt? So kann, noch dazu personenspezifisch, bewusst werden, welche „Köder“ einem denn besonders in Gefahr bringen, Zusagen zu äußern, die man später dann bereut.

Die folgenden Strategien scheinen besonders erfolgversprechend zu sein, weil sie offenkundig Bedürfnisse der Adressaten treffen:

  • Die „Schmeichelfalle“: Der sicherlich häufigste Versuch jemanden zu einer Zusage für eine unliebsame Aufgabe zu bewegen, besteht in einem Manipulationsversuch durch gezieltes Lob. „Nur Du kannst das in einer hohen Qualität erledigen! Du bist hier ohne Zweifel der Beste.“ Das ist die prototypische Aussage für diese Strategie. Im Kontext von Management zeigt sich in einem solchen Versuch ein Führungsverständnis, das die Mitarbeitenden als manipulierbare Objekte und nicht als Personen betrachtet. Die eigentlich kränkende, implizite Unterstellung meint, der oder die Mitarbeitende würde es nicht bemerken, dass hier versucht wird, die entstehende Reibungshitze, wenn man versucht jemanden über den Tisch zu ziehen, als soziale, wohlwollende Wärme zu verkaufen. Wie die Erfahrung zeigt, geht diese „Rechnung“ gar nicht selten tatsächlich auf, weil eben eines der grundlegendsten Bedürfnisse adressiert wird: die soziale Anerkennung.
  • Die „Liebesentzugsdrohung“ oder das „Verbrüderungsangebot“: Die gewissermaßen negative Spielart der Adressierung von sozialen Zugehörigkeitsbedürfnissen als Strategie zur Durchsetzung von eigenen Interessen, besteht in der Bedrohung von bisher positiven Beziehungsqualitäten. „Wenn Du mich wirklich lieben würdest…“, oder im Arbeitskontext: „Bis jetzt dachte ich, ich könnte auf Ihre verlässliche Unterstützung bauen…“; so oder ähnlich lauten hier die Botschaften. Emotional ähnlich gepolt, findet man häufig auch eine Art „Verbrüderungsangebot“ als Strategie („Wir sind doch vom gleichen Schlag!“).
    Besonders im Arbeitskontext ist dabei darauf hinzuweisen, dass solche Beziehungsdefinitionen eine implizite Aufforderung zu regressivem Verhalten enthalten. Intrinsische Motivation wird womöglich sogar verdrängt von einem für den Arbeitskontext völlig unpassenden Versuch, sich die „Liebe“ des Vorgesetzten zu verdienen. Je nach persönlichen Sozialisationsgeschichten der handelnden Akteur*innen sind dann Verhaltensmuster zu erwarten, die, anknüpfend an die jeweiligen Familiengeschichten, affektiv und irrational getönt, eine Menge an Enttäuschungs- und Konfliktpotential mit sich bringen.
  • „Manipulation durch schlechtes Gewissen“: In deutlicher Nähe zu diesen Strategien, liegt der geradezu klassische“ Versuch, Schuldgefühle zu evozieren. So kann etwa ein Appell an die Gerechtigkeit erfolgen („Ich habe ja schon eine Vorleistung erbracht, die sich sehr mühevoll erwiesen hat.“), oder eine eigene Problemsituation womöglich nur behauptet werden („Ich bin leider völlig überarbeitet…krank…privat belastet ..usw.“), oder auch an ein spezifisches Idealbild erinnert und dadurch das „Ehrgefühl“ oder das eigene Pflichtbewusstsein ins Treffen geführt wird („Gute Kollegen tun so etwas doch ganz selbstverständlich!“, „Wenn Du tatsächlich ein guter Freund wärst, dann würdest Du doch…“). Dadurch wird besonders perfide an Aspekten des „Traums von gelungenen Selbst“ angeknüpft, der - so die überzeugenden Ausführungen von Harry Merl, einem der Begründer der österreichischen Familientherapie - uns allen in je spezifischen Ausprägungen eigen ist und eine enorme Wirkmächtigkeit für unser Verhalten hat. Man möchte eben im Einklang mit denjenigen Werten leben, die man mit den Bildern von einer gelungenen Elternschaft, einer gelungenen Kollegenschaft, einer gelungenen Freundschaft und so weiter verbindet[9].
  • Die „Unentbehrlichkeitsfalle“: Auch diese Strategie knüpft an einem psychischen Grundbedürfnis an. „Was würde ich nur ohne Dich tun?“ Dabei ist das Bedürfnis nach Kompetenz oder „Selbstwirksamkeit“ im Fokus. Schnell ist man dann womöglich bereit, eigene Nachteile in Kauf zu nehmen, wenn sie durch das Gefühl gelindert werden, wichtig, kompetent oder eben sogar „unentbehrlich“ zu sein. Eine noch dringlichere Variante davon ergibt sich, wenn - obwohl überzogen - womöglich sogar „Gefahr im Verzug“ behauptet wird.
  • Angebotene „Deals“: Selbstverständlich kommt es auch häufig zu Vorschlägen für „Gegengeschäfte“. Diese Strategien haben den Vorteil gegenüber den bis jetzt genannten, dass sie erstens in die Berufswelt passen und - zumindest in der positiven Form - auch transparent und explizit sind. Wie bei jeder Verhandlung gilt es dabei darauf zu achten, ob denn das Gegenüber auch tatsächlich fair und ehrlich versucht, die eigenen Interessen durchzusetzen. Die häufigsten trügerischen Behauptungen in diesem Zusammenhang sind:
    * die Darstellung von angeblichen „Quick Wins“ bei Verschleierung von womöglich vielfältigen Nebenwirkungen,
    * die Behauptung besonders interessanter Arbeitsinhalte (anknüpfend an intrinsische Motivlagen),
    * der Hinweis es würde sich nur um eine besondere Ausnahme handeln (hier ist besondere Vorsicht geboten, dass man nicht ausgehend von dieser „Ausnahme“ plötzlich quasi via „Gewohnheitsrecht“ ein zusätzliches Aufgabengebiet auf Dauer gestellt bekommt),
    * es könnten auch - ohne realistische Chancen auf Verwirklichung - jede Menge Versprechungen gemacht werden (Aufstieg, Geld, Entlastung von anderen Aufgaben, …).

Diese Auflistung von möglichen Strategien ist sicher nicht taxativ, es lohnt sich darüber weiter nachzudenken, welche der verschiedenen „Köder“ am ehesten diejenigen sind, die einem dazu bringen von eigenen Prioritäten und berechtigten Bedürfnissen und Interessen abzurücken. Im Wesentlichen, das zeigen Befunde aus der Motivationsforschung, werden diese Verführbarkeiten auf die identifizierten psychischen Grundbedürfnisse rückführbar sein. Das wären, der „Self Determination Theory“[10] folgend, Bedürfnisse im Zusammenhang mit den Wünschen nach Selbstbestimmung (größtmögliche Autonomie), Kompetenz (Selbstwirksamkeit, Möglichkeiten zur Gestaltung, Herausforderungen, Selbstverwirklichung,…) und - vermutlich am bedeutendsten - Wünsche nach sozialer Einbindung (Anerkennung, Zugehörigkeit,…).

Hilfreiche Strategien und Tipps für ein vertretbares „Nein-Sagen“

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Was lässt sich nun vor Hintergrund der bisherigen Ausführungen im Bedarfsfall unternehmen, um die Konsequenzen selbstschädigender Zusagen größtmöglich zu vermeiden?

Präventive Strategien

Damit man gar nicht erst Gefahr läuft überrumpelt zu werden, wäre es nötig, die eigenen Arbeitstage möglichst klar zu strukturieren. Eine klare und mit Begründungen darstellbare Tagesplanung hilft selbstverständlich enorm, sich gegenüber unberechtigt erscheinenden Beauftragungsversuchen abzugrenzen. Je nachvollziehbarer dabei die zu erledigenden Arbeiten sind, desto leichter wird es auch fallen, die nötige Differenzierung zu treffen, zwischen einer (womöglich leicht angreifbaren) Rechtfertigung und einer im Vergleich dazu „wasserdichten“ Begründung.

Eine persönliche Voraussetzung wird dabei (wie oben schon ausgeführt) in einer möglichst tiefreichenden Reflektiertheit zu finden sein, über die eigenen Bedürfnisse und aktuellen Interessen tatsächlich auch Bescheid zu wissen. Die dadurch sich ergebenden Prioritäten werden insbesondere dann wirkungsvoll ins Treffen geführt werden können, wenn auch die „dahinter liegenden“ Bedürfnisse transparent kommuniziert werden. Die Erfahrung zeigt, dass bei Kommunikation von persönliche Bedürfnissen, das Gegenüber sehr viel eher zu einem empathischen Nachvollzug der Situation eingeladen werden kann, als wenn man nur dünne Ausflüchte ins Treffen führt. In diesem Zusammenhang kann man auf die Konzeptionen der sog. „gewaltfreien Kommunikation“[11] hinweisen. Die Praxis zeigt, dass bei einer klaren Äußerung von Bedürfnissen ein Umstand zum Tragen kommt, der manchmal übersehen wird: Bedürfnisse - so ein zentrales Credo von Marshall Rosenberg - sind tatsächlich allen Menschen gemeinsam und demnach unabhängig von Zeiten (Epochen), Orten (Regionen und Kulturen) und Personen. Deshalb können wir geäußerte Bedürfnisse von anderen auch so mühelos nachvollziehen; ist das erst einmal gelungen, eröffnen sich sehr viel wahrscheinlicher für alle Beteiligten akzeptable Verhandlungsergebnisse, die ihre Tragfähigkeit daraus beziehen, dass die gegenseitig transparent erfahrenen Bedürfnisse eben so weit wie möglich berücksichtigt werden können.

Häufig wurde uns berichtet, dass man eigentlich schon vorhersagen könnte, welche Personen im eigenen Arbeitsumfeld mit welchen typischen Anliegen immer wieder versuchen, sich selbst auf Kosten Anderer zu entlasten. Ganz praktisch könnte in diesem Zusammenhang hilfreich sein, sich die Zeit zu nehmen und einmal konkret aufzulisten, welche Aufgaben man sicher nicht übernehmen oder welche Erwartungen man auch nicht erfüllen will bzw. welche Aufgaben einem aktuell übertragen wurden und welche Zeitbedarfe und Prioritäten sich dadurch folgelogisch ergeben. So lässt sich gewissermaßen präventiv ein Argumentarium vorbereiten, das man dann im Bedarfsfall schnell „zur Hand“ hat.

Eine weitere Präventionsstrategie findet sich in einer Anregung, die darüber hinaus eine Vorbedingung für reibungslose Kooperation darstellt: Eine klar funktional abgegrenzte Beschreibung der eigenen Aufgabenfelder („job description“); die sollte dann selbstverständlich auch unmissverständlich mit allen Kooperationspartner*innen abgesprochen sein und könnte dann noch ergänzt werden durch konkrete Absprachen und Regeln, wie man denn mit den immer verbleibenden „Graubereichen“ der besprochenen Zuständigkeiten gemeinsam verfahren will.

Strategien und Tipps zum „Nein-Sagen“

Im schon erwähnten Buch „Zeit haben heisst Nein sagen“ findet sich eine Art „Checkliste“, die beachtet werden sollte bevor man „Ja“ sagt; hier nachfolgend mit einigen Ergänzungen:

  1. Was ist das genau, was ich tun soll? Betrifft das Anliegen den Arbeitskontext, handelt es sich eher um einen persönlichen Gefallen, was wären die damit verbundenen Aktivitäten?
  2. Möchte ich das wirklich tun oder geben? Scheint es mir angemessen, legitim oder opportun?
  3. In welchem Beziehungsverhältnis stehe ich zu der Person, die mich mit einem Anliegen konfrontiert?
  4. Welches Zeitbudget steht mir zur Verfügung, habe ich im Moment genügend Energie und Lust?
  5. Welche Zeitschuld gehe ich dadurch ein?
  6. Welche Konsequenzen hat diese Zusage unmittelbar? Gibt es weitere Folgewirkungen?
  7. Welche anderen (wichtigen?) Arbeiten leiden darunter?
  8. Mache ich die Zusage nur, weil ich mich „aufgewertet“ fühlen, unentbehrlich sein will…?
  9. Will der andere durch Verführung etwas erreichen (verdeckte Interventionen und Intentionen)?
  10. Was verneine ich, indem ich diese Verpflichtung(en) eingehe?[12]

Immer wieder findet man verschiedene konkrete Tipps für Situationen, die ein klares, vertretbares „Nein“ erfordern, manche davon sind in verschiedenen Momenten tatsächlich hilfreich:

  • Interesse zeigen, d.h. das Anliegen möglichst exakt zu verstehen versuchen, um Missverständnisse zu vermeiden.
  • Nötigenfalls „Nein“ sagen und zwar klar und deutlich, sog. „Weichspülerformulierungen“ mittels derer man versucht Konfrontationen zu vermeiden, helfen erstens zumeist nicht und verzögern zudem unnötig die jetzt erforderliche Zurückweisung. Es wird für das Gegenüber meist nicht wirklich nachvollziehbar, dass man es tatsächlich ernst meint und in diesem Fall eben nicht zur Verfügung steht.
  • Die Absage sollte grundsätzlich natürlich begründet werden. Wie oben schon erwähnt, sollten diese Begründungen aber tatsächlich stichhaltig sein, anderenfalls liefert man nur Angriffsflächen für nachfolgende Überredungsversuche.
  • In manchen Situationen ist eine Differenzierung hilfreich; ein heutiges „Nein“ gilt nicht für alle Ewigkeit. Oder es lässt sich mitunter deutlich machen, dass sich dieses „Nein“ nur auf das aktuelle Anliegen, oder nur auf einen ganz bestimmten Bereich oder auf einen spezifischen Teilaspekt bezieht. Möglicherweise besteht ja die Möglichkeit gewissermaßen ein „Teil-Nein“ auszusprechen, einen Teil der Bitte kann man übernehmen, andere Aspekte aber eben nicht.
  • Möglicherweise gibt es auch noch eine dritte Möglichkeit, neben dem ausschließlichen „Nein“ oder dem klarem „Ja“. Es findet sich vielleicht eine Alternative („Heute geht es nicht, aber morgen wäre es möglich…“).
  • Es hilft manchmal einen Verhandlungsprozess zu starten. Vor Hintergrund der klar geäußerten Begründungen, was dagegen spricht jetzt einfach „Ja“ zu sagen, könnte man verschiedene Aspekte „herausverhandeln“, wie bspw. einen Zeitrahmen („Ich kann das schon machen, muss aber klarstellen, dass ich dafür maximal eine Stunde Zeit erübrigen kann.“). Manchmal lässt sich eine Bedingung formulieren („Wenn ich das jetzt mache, dann müsste ich dafür aber morgen früher gehen, weil…“), hier wird also eine Art Gegenangebot gemacht. Mitunter gibt es die Möglichkeit als Kompensation eine andere Unterstützungsmöglichkeit anzubieten („Ich kann gerne bei einer anderen Aufgabe unterstützen, zum Beispiel bei…“). In Verhandlungssituationen mit dem oder der Vorgesetzten lässt sich manchmal auch verdeutlichen, dass er bzw. sie im Falle einer klaren Vorgabe auch die entsprechenden Konsequenzen verantworten muss („Sollte ich dieses Projekt tatsächlich übernehmen, dann bedeutet das eine Veränderung der momentan vereinbarten Prioritäten, welche anderen Aufgaben soll ich dafür also zurückreihen oder gar abgeben?“).
  • Es gibt Situationen, in denen hilft es, die geforderte Unterstützung als klare Ausnahme zu deklarieren und - präventiv in Hinsicht auf künftige Situationen - ein „Nein“ voranzukündigen („Heute kann ich das ausnahmsweise übernehmen, ich muss aber gleich anmerken, dass es bei dieser Ausnahme bleiben muss, das nächste Mal muss ich das Anliegen ablehnen, weil…“).
  • Sollte eine solche Möglichkeit bestehen, dann kann man die Vorteile des „Nein“ für das Gegenüber verdeutlichen („Wenn ich das jetzt nicht mache, dann kann ich dafür...und das hat den klaren Vorteil, dass…“).
  • Als besonders hilfreich wird der recht simple Tipp erlebt, um eine Nachdenkpause zu bitten. Man kann sich dann zurückziehen, um genauer zu überlegen, ob überhaupt die Möglichkeit besteht das Anliegen zu bejahen. Zudem wird signalisiert, dass man das Anliegen wirklich ernsthaft prüfen will und es wird verhindert, dass man einer „Überrumpelungstaktik“ zum Opfer fällt.
  • Eine besonders häufige Strategie ist die oben schon erwähnte „Schmeichelfalle“. Sollte sich dieser Verdacht ergeben, dann könnte man zwischen der mit manipulativer Absicht geäußerten Anerkennung und der daran anknüpfenden Bitte differenzieren. Man nimmt also das ausgesprochene Lob an und lehnt die geäußerte Bitte dennoch ab („Freut mich, dass Du mich so siehst. Dennoch muss ich leider Deine Bitte zurückweisen, weil…“). Ein solches Vorgehen macht vielleicht nachhaltig klar, dass man mit dieser Strategie nicht manipuliert werden kann.
  • Wird das eigene “Nein” klar formuliert und konsequent aufrecht erhalten, dann reicht das normalerweise auch aus. Dennoch gibt es auch manche Gegenüber, die hartnäckig versuchen, sich doch noch durchzusetzen (gerade wenn sie kein so klares “Nein” gewohnt sind). In diesem Fall kann Metakommunikation hilfreich sein, indem man die eingesetzte Strategie anspricht - (“Ganz offenkundig versuchst Du mich mit gezieltem Lob und der Absicht mir ein schlechtes Gewissen zu machen dazu zu bringen, dass ich “ja” sage, obwohl ich meine Absage schon klar formuliert habe. Es tut mir leid, aber das zieht ganz einfach nicht. Ich kann nur noch einmal wiederholen, dass es aus den genannten Gründen nicht geht.”).

Noch einige letzte Tipps für das „nachträgliche Nein“

Nicht selten wird, den Forderungen nach der oben schon erwähnten berühmten Handschlagqualität folgend, schlicht übersehen, dass es auch Situationen gibt, die klar für ein nachträgliches „Nein“ sprechen:

  • Sollte einem erst im Nachhinein klar werden, dass eine Überrumpelungstaktik zum vorschnellen „Ja“ geführt hat , dann kann man das mit dieser Begründung auch wieder zurücknehmen.
  • Sollte sich trotz aller Bemühungen, auf Basis einer nur mangelhaften Überlegung, welche Ressourcen man tatsächlich hat, herausstellen, dass man das Zugesagte nun doch nicht erfüllen kann, dann sollte man das auch offen zugestehen.
  • Möglicherweise hat sich auch die Situation derart verändert, dass man um eine neue Verhandlung nicht umhin kommt. Vielleicht gibt es auch neue Erkenntnisse, die es jetzt im Nachhinein erforderlich machen, die Aufgabe wieder zurückzugeben. So könnten bspw. derart gravierende Nebeneffekte und/oder Zusatzbelastungen sich ergeben, dass die Begründung für die erforderliche Rückdelegation stichhaltig ist und im Interesse der Projektziele eine Neuverteilung der Arbeit unerlässlich wird.

Der letzte Tipp ist für die Situation gedacht, dass man trotz aller dieser bis jetzt formulierten Überlegungen eben doch eine Aufgabe übernimmt, die man eigentlich klar ablehnen wollte. Auch für ein nachträgliches „Nein“ gibt es eben manchmal keine Optionen mehr.
In einem solchen Fall ist es am besten, man gibt sich einen inneren Ruck und entscheidet sich nachträglich trotz aller Widrigkeiten klar dafür, die Aufgabe bestmöglich auszuführen. Nur so kann es gelingen, dass man dann nicht noch neben der ungeliebten Aufgabe auch noch an den eigenen Selbstvorwürfen leidet und mit einer besonders unangenehmen Auswirkung einer kognitiven Dissonanz zu kämpfen hat, - dem schon erwähnten quälenden Nachentscheidungsbedauern. In einer solchen Situation sollte man sich selbst mit liebevoller Nachsicht behandeln. Ist doch die Fähigkeit „Nein“ zu sagen immerhin, so wurde schon formuliert, der erste Schritt zur Freiheit im Sinne eines größtmöglich selbstbestimmten Lebens; - und diese Freiheit, die gilt es tatsächlich immer wieder gegen nicht unbedeutende Widerstände neu, auch in den hier behandelten „alltäglichen Momenten“, zu erkämpfen bzw. zu verteidigen.

Jean-Jaques Rousseau wird in diesem Zusammenhang der erhellende Gedanke zugeschrieben: „Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern dass er nicht tun muss, was er nicht will.“

© Peter Frenzel, Wien 2019, www.tao.co.at


Fussnoten

[1] Siehe dazu den gleichnamigen Buchtitel Höglinger, A. (2000)

[2] Siehe dazu Festinger, L. (2012): Theorie der Kognitiven Dissonanz. Huber (Bern) 2012

[3] Marquard, O. (1986): Apologie des Zufälligen. Reclam (Stuttgart) 1986; siehe dazu auch einen lesenswerten Essay über die Bedeutung von Fristen von Niklas Luhmann, neu herausgegeben von Christian Geyer (2013): Die Knappheit der Zeit und die Vordringlichkeit des Befristeten. (1971)

[4] Gross, P. (1994)

[5] Siehe dazu z.B. die Eintragung des deut. Gesundheitsministerium: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/gesundheitsgefahren/depression.html; Zugriff am 1.12.2019 (Einschätzung der WHO)

[6] Gronemeyer, M (1996) prägt in diesem Zusammenhang in ihrem Buch auch den Begriff der „Versäumnisgesellschaft“.

[7] Vgl. dazu die berühmte, schon sprichwörtliche gewordene Sentenz von Theodor W. Adorno in dessen Buch „Minima Moralia“ (1997, 43): „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“

[8] Siehe dazu Rogers 1957.

[9] Vgl. dazu Merl, H. (2002), 46-63

[10] Vgl. dazu Deci, E. / Ryan, R. (2008)

[11] Vgl. dazu Rosenberg, M. (2010)

[12] Vgl. dazu Höglinger, A. (2000), S. 61

 


Literatur:

Adorno, T. (1997): Minima Moralia. In: Gesammelte Schriften 4, Frankfurt/M. (Suhrkamp) 1997

Deci, E. / Ryan, E. (2008): Self-Determination Theory: A Macrotheory of Human Motivation, Development, and Health. In: Canadian Psychology 49, 182–185

Festinger, L. (1978): Theorie der kognitiven Dissonanz. Bern (Huber) 1978

Gronemeyer, M. (1996): Das Leben als letzte Gelegenheit. Sicherheitsbedürfnisse und Zeitknappheit. 2. Aufl., Darmstadt (Primus) 1996

Gross, P. (1994): Die Multioptionsgesellschaft. Frankfurt (Suhrkamp) 1994

Höglinger, A. (2000): Zeit haben heißt Nein sagen. Ein Arbeitsbuch zur Selbstorganisation, Linz (Eigenverlag Höglinger), 2. Aufl. 2000

Luhmann, N. (1971): Die Knappheit der Zeit und die Vordringlichkeit des Befristeten, neu hrsg. von Geyer, C. (2013), Berlin (Kadmos) 2013

Marcuse, H. (1968): Der eindimensionale Mensch. Berlin (Neuwied) 1968

Merl. H. (2002): Der Traum vom gelungenem Selbst. Psychotherapie Forum Bd. 10, Heft 1, Wien (Springer) 2002, 46-63

Rogers, C. (1957): The necessary and sufficient conditions of therapeutic personality change. In: Journal of Consulting Psychology 21,2, 95-103; dt.: Die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für Persönlichkeitsentwicklung durch Psychotherapie, in: Rogers/Schmid 1991, 165-184

Rogers, C. (1987): Eine Theorie der Psychotherapie, der Persönlichkeit und der zwischenmenschlichen Beziehungen. Entwickelt im Rahmen des klientenzentrierten Ansatzes, Köln: GwG-Verlag. [Original 1959: A theory of therapy, personality and interpersonal relationship, as developed in the client-centered framework. In S. Koch (Ed.), Psychology, a study of science (Vol.3; pp.184-256). New York: McGraw-Hill.]

Rosenberg, M. (2010): Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens. 9. Aufl. Paderborn (Junfermann) 2010

 

Bilder/Fotos: www.tao.co.at, Ingrid Obermayr, pixabay

 

 

 

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