TAO Unternehmensberatung

Zu den psychischen Voraussetzungen für Entwicklung und Umsetzung ethischer Orientierung im Management

„Die Wirtschaft ist kein natürliches Phänomen. Sie ist ein Instrument, das es in den Dienst eines einzigen Zwecks zu stellen gilt: dem Streben nach dem gemeinsamen Glück.“ (Jean Ziegler 2005)

Die nachfolgenden Überlegungen gehen von der These aus, dass sich unternehmensethische Entscheidungen niemals alleine durch ökonomische Rationalität ergeben können, auch wenn das häufig behauptet wird.

Der ‚homo oeconomicus’ handelt keineswegs ‚naturgemäß’ und auch nicht langfristig im Interesse des Gemeinwohls. Auch oder besser gerade bei einer langfristigen Betrachtung der Konsequenzen einer rein wirtschaftlich orientierten Vorgehensweise zeigt sich die klare Parteilichkeit der ‚unsichtbaren Hand’, die sehr deutlich die Interessen von privilegierten Minderheiten bedient.

Es gibt ausreichend viele Fallbeispiele, die klar illustrieren, „dass es in vielen unternehmensethisch relevanten Situationen keine präformierte Korrelation von Moral und Ökonomie gibt. Vielmehr herrscht oft Kontingenz in der einzelnen Entscheidungssituation des Unternehmens. Von vornherein gilt weder: ‚good ethics is bad business’, noch gilt: ‚good ethics ist good business’.“ (Schramm 2004, S.5ff)

Nimmt man davon ausgehend die einzelne Person in den Blick und folgelogisch den Umstand, dass Menschen höchst unterschiedlich empfinden, wahrnehmen und agieren und zwar hinsichtlich jeder Lebensfrage und damit selbstverständlich auch hinsichtlich der Frage, ob und inwieweit man ethische Erwägungen als Basis für eigene Handlungen heranzieht, dann ist eine bedeutsame Frage aufgeworfen:

Welche psychischen Voraussetzungen sollten gegeben sein, damit sich in Folge von eigener Wahrnehmung und Überlegung eine ethische Orientierung handlungssignifikant entwickeln kann?

Zur Beantwortung dieser Frage sollen anschließend dafür notwendige Bedingungen kurz aufgezeigt werden, die als ein komplexer in sich verschränkter Prozess psychischer Dynamik verstanden werden können.

Sechs notwendige Bedingungen für die Entwicklung ethischer Orientierung

  1. Empathie und Kongruenz
    Am Beginn dieses Prozesses muss die Fähigkeit stehen Leidenszustände, Schmerz, Unterdrückung beziehungsweise die Behinderung der vollen Entfaltungsmöglichkeiten der Person bei sich selbst und anderen möglichst klar wahrnehmen zu können.

  2. Widerspruchstoleranz (Ambivalenztoleranz)
    Um die empathisch miterlebten Probleme deutlich und anhaltend im Bewusstsein halten zu können, bedarf es eines Mindestmaßes an Fähigkeit, Widersprüche ertragen zu können.

  3. Konfliktfähigkeit, Zivilcourage und kreativer Ungehorsam
    Ohne ausreichende Bereitschaft und Fähigkeiten, sich in konflikthafte Auseinandersetzung zu begeben, bleibt die Beschäftigung mit ethisch bedeutsamen Problemstellungen folgenlos.

  4. Selbstwirksamkeitserwartung (internale Kontrollüberzeugung)
    Erst die Erkenntnis, dass man als (Wirtschafts-)Subjekt signifikant auf Situationen Einfluss nehmen kann und dass insofern eigenes Handeln Relevanz für ethisch bedeutsame Prozesse aufweist, ermöglicht dann konkrete Aktivitäten.

  5. Durchbrechen des Unmittelbarkeitsbezugs und positive Zukunftsvisionen
    Des weiteren lässt einen nur die Einschätzung, dass die bestehenden (markt)gesellschaftlichen Bedingungen nicht die besten aller möglichen sind und die Überzeugung, dass das Leben prinzipiell gelingen kann, eine positive Vision entwickeln, die wiederum eine Voraussetzung darstellt, um ein ethisches Interesse und das nötige Durchhaltevermögen aufzubringen.

  6. Akzeptanz sozialer Angewiesenheit und prosoziale Orientierung
    Letztendlich stellt auch die Erkenntnis, dass nur durch die mitmenschliche Verbundenheit wirksam Einfluss genommen werden kann und nur durch diese erlebte Verbundenheit die nötigen Orientierungshilfen für ethisches Handeln entwickelt werden können, eine unhintergehbare Voraussetzung für die Realisierung gemeinwohldienlicher Aktivitäten dar.

Ad 1. Empathie und Kongruenz

Eine Vielzahl gesellschaftlicher Strukturen ist darauf ausgerichtet, die erlebte Wahrnehmung der (zumindest implizit erfahrenen) emotionalen Bedürfnisse von Personen zu erschweren oder gar zu verhindern. In diesem Umstand findet eine Dialektik ihren Niederschlag, die darin besteht, dass einerseits derartige Strukturen von Personen (angstabwehrend) gestaltet werden, um das eigene Selbstbild durch permanentes Fernhalten der affektiven Erfahrungen aufrecht erhalten zu können, während andererseits durch ebendiese Strukturen das Selbsterleben von Personen so konfiguriert wird, dass die “organismische Wahrnehmung” (Rogers 1959) eigener und fremder Bedürfnisse nicht mehr (unverzerrt) gelingen kann. Eine permanente und über Generationen tradierte Enteignung des Blickes auf sich selbst, verhindert erfolgreich die Entlarvung von entfremdenden gesellschaftlichen Bedingungen, die dadurch derartige Entfremdungsprozesse unverändert über Jahrhunderte tief in die Persönlichkeit hinein befördern.

An erster Stelle ist dabei die Familie als erste und wesentlichste Sozialisationsinstanz zu nennen. Jeder Mensch hat Hilflosigkeit und Ohnmacht als Kernerlebnisse in seiner frühesten Kindheit mitbekommen. Bleiben solche Erfahrungen des Kindes – durch die eigene Gefühlsabwehr der engsten Bezugspersonen – unverstanden oder werden gar in aggressiver Weise unterdrückt, so beginnt – als einziger Ausweg – ein Prozess zunehmender Identifikation mit derartigen Haltungen. Als eine Konsequenz daraus wird die Entwicklung einer eigenen Identität behindert zu Gunsten einer weit reichenden Gehorsamsbereitschaft und einem daraus konstruierten Selbstkonzept, das einem dazu zwingt, eigene Bedürfnisse aufzugeben und sich denen eines anderen unterzuordnen (Rogers 1959). Wenn Menschen sich solcherart mit den Sozialisationsinstanzen identifizieren, „verlieren sie ihre eigenen menschlichen Gefühle, sie werden gefühlsarm, weil ihnen das Bewusstsein ihrer Verletzlichkeit durch die Identifikation mit Symbolen der Stärke und des Heldentums ersetzt werden. Sie können ihren eigenen Schmerz nicht mehr wahrnehmen und deswegen auch nicht den Schmerz des Opfers. Der Mangel an Miterleben führt zum indirekten Mitmachen mit jenen, die am meisten von Eigenhass gesteuert sind. Mit der Es-geht-mich-nichts-an-Haltung machen sie es den Schlimmsten möglich, ihre Gewalttätigkeit auszuagieren.“ (Gruen 2006)

Es wird deutlich, wie erfolgsentscheidend Empathie, als grundsätzliche und arteigene Fähigkeit aller Menschen, für eine gelingende Entwicklung von Einzelnen und der Gesellschaft ist. Carl Rogers (1975), der Begründer einer der bedeutendsten Psychotherapieverfahren, wurde nicht müde, auf diese so zentrale Bedeutung hinzuweisen und bezeichnete die Empathie in einem Beitrag gar als ‚unterschätzte Seinsweise’.
Einfühlen wird dabei als ein inneres Mitmachen, als eine „imaginierende Nachahmung des Erlebens des anderen“ beschrieben, „wodurch der Erlebenshorizont auch des sich Einfühlenden (...) erweitert wird. Das Sich-Einfühlen ist also ein zumindest zeitlich begrenztes Sich-Identifizieren, eine partielle Teilhabe am Erleben des anderen.“ (Finke 1994, S.42)

Im Zusammenhang mit der Empathie als das wahrscheinlich bedeutsamste Agens gelingender Psychotherapie gleichgültig welcher Provenienz, wird darauf hingewiesen, dass es dabei zentral sei, „den inneren Bezugsrahmen des anderen möglichst exakt wahrzunehmen, mit all seinen emotionalen Komponenten und Bedeutungen, gerade so, als ob man die andere Person wäre, jedoch ohne jemals die ‚Als-Ob-Position’ aufzugeben.“ (Rogers 1959, S.37)

Wesentlich ist dabei die emotionale Beteiligung als ein Ausdruck affektiver Sensitivität, die, wie gezeigt werden konnte (Binder 1994), eine Voraussetzung für eine ‚prosoziale Motivation’ darstellt, wodurch die Abgrenzung der Empathie von einer bloß kognitiven ‚sozialen Perspektivenübernahme’ klar gestellt wurde[1] . Nur indem auch emotionale Betroffenheit miterlebend empfunden wird, kann Empathie als ‚Schranke zur Unmenschlichkeit’ (Gruen 2000) tatsächlich den Kern unseres Menschseins bilden.

Eine Voraussetzung für authentische Betroffenheit stellt eine möglichst weit reichende Fähigkeit dar, eigene innere Reaktionen und Erfahrungen auch im eigenen Gewahrsein erleben zu können. Diese Fähigkeit, die sich sicher nicht in jedem Augenblick in gleicher Weise entfalten kann (und soll), wurde von Rogers (1959) als „Kongruenz“ bezeichnet. Selbstverständlich ist mit diesem Begriff nicht nur das Offensein gegenüber dem eigenen organismischen Erleben gemeint („Innenseite der Kongruenz“), sondern auch die „Transparenz“ im Verhalten nach Außen. Damit, und das ist die sicher wesentlich bekanntere Wortbedeutung, ist die persönliche „Fassbarkeit“ und authentische Ausdrucksform der Person als Beziehungspartner gemeint.

So bleibt hier festzuhalten: Auch wenn in unserer Mediengesellschaft durch einen täglichen Ausverkauf der Betroffenheit allzu viele Geschehnisse zum Anlass genommen werden, eine Art “Betroffenheitsspektakel” als lukratives Geschäft zu veranstalten und solcherart der Begriff der “Betroffenheit” schon längst fragwürdig geworden ist, bleiben doch unsere Fähigkeiten zur authentischen Anteilnahme, zur Einfühlung in andere, gegenseitiges Verstehen und persönliche Betroffenheit die Grundvoraussetzung zur Entwicklung authentischer, moralischer Interessen und der Anfang jeder persönlichen und gesellschaftlichen Selbsterneuerung.

Ad 2. Widerspruchstoleranz (Ambivalenztoleranz)

Lässt man sich erst einmal tatsächlich von den so zahlreich vorfindbaren Leiden anderer betreffen und kann daraus ein empathisches Erleben empfinden, dann gilt es, eine besondere innere Stärke zu entwickeln, um diese Betroffenheit auch aufrecht halten zu können. Es ist tatsächlich oft genug beinahe unerträglich, sich den in mehrfacher Bedeutung ‚harten’ Fakten rund um menschliches Elend oder ökologischer Katastrophen nicht zu verschließen und gleichzeitig klar wahrzunehmen, dass die eigene Lebenssituation nicht nur historisch unvergleichbar privilegiert ist, sondern eindeutig und erschreckend direkt zu diesem Elend beiträgt.

Die Philosophie und eben auch unsere Lebenserfahrung lehren uns, dass wir als Menschen unentrinnbar in der Spannung zwischen Solidarität und Autonomie, zwischen Engagement und Souveränität oder schlicht zwischen ‚Ich’ und ‚Wir’ stehen. Die Bemühungen um den eigenen Vorteil, um eigene persönliche Freiheiten und Unabhängigkeit geschehen unhintergehbar im mehr oder weniger klaren Bewusstsein der weit reichenden Angewiesenheit auf das Miteinander und die immer wieder bedrängende Sorge um das Wohl anderer, die sich alleine schon aus den Sehnsüchten nach Bindung und Bezogenheit ergibt. Die Widersprüche und die zeitweise Zerrissenheit zwischen Ich-Bezogenheit und Gemeinschaftsgefühl ist substantieller Bestandteil des Menschseins.

Es bleibt eine permanente Aufgabe sowohl jedes Einzelnen als auch der Sozietät, diese Gegensätzlichkeiten immer wieder auszubalancieren. Damit es dabei durch wiederholte Gefühle der Überforderung nicht zu einer permanenten Verleugnung von Emotionen und daraus folgelogisch zu einer Verweigerung von Verantwortung, zu Politikverdrossenheit und persönlicher Abstinenz gegenüber ethischer Selbstreflexion kommt, bedarf es sozialer Kernkompetenzen wie beispielsweise einer robusten Toleranz gegenüber dieser so unentrinnbaren Widersprüchlichkeit und damit einhergehenden Ambivalenzgefühlen.

Um nicht in soziale Kälte abzudriften oder – ganz im Gegenteil – sich durch überforderndes Engagement selbst nachhaltig zu schaden, gilt es darüber hinaus noch eine Haltung zu entwickeln, die man als eine gelingende Dialektik zwischen Anteilnahme und Abgrenzung beschreiben könnte.

Gelingt das nicht, dann ist häufig eine schroff-zurückweisende oder zynisch-gefühlsarme Reaktion auf Notsituationen anderer feststellbar, die sich einstellt, weil der Betroffene zumindest unterschwellig die Gefahr bemerkt, im Sinne einer ‚Konfluenz’ in einen emotionalen Sog zu geraten, durch den die Grenze zwischen ‚Ich’ und ‚Du’ zu verschwimmen droht. Die andere – nicht minder gefahrvolle – Reaktionsform besteht im Überhandnehmen genau dieser Konfluenz, die im schlimmsten Fall durch übertriebene Anteilnahme letztendlich zu Selbstgeißelung oder Selbstaufopferung führt und der eigene ‚Mitleids-Kummer’ die Sorgen und Nöte der eigentlich Betroffenen bald zu übersteigen droht. Als wahrscheinlich einzige Lösung ist ein ‚Aushalten’ von Leid gefordert, das sich wohl nur realisieren lässt, wenn durch die persönliche Auseinandersetzung mit so bedrohlichen Themen wie Verlassenheit, Krankheit, Sterben und Tod eine psychische Stabilität entwickelt werden konnte, die mitfühlende Engagiertheit bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf persönliche Grenzen ermöglicht. (Schulz von Thun 1989)

Ad 3. Konfliktfähigkeit

Sobald eine Selbstbetroffenheit intrapersonal aufrecht gehalten werden kann, ist eine unabdingbare Voraussetzung gegeben, um sich damit auch einer sozialen Auseinandersetzung stellen zu können. Damit kommt in den Blick, dass Ethik wesentlich als ein Konfliktmodell zu verstehen ist.

„Das Konflikthafte der Ethik liegt (...) in der Pluralität und dem Antagonismus von Interessen, Werten, Kontexten, Perspektiven und in der Strittigkeit ethischer Entscheidungen bzw. Optionen.“ (Eck 2006a, S.265)

Auch die formalen Erfordernisse für ethisch motivierte Kommunikation zeigen die konflikthafte Verfasstheit. Zumindest drei unterscheidbare Diskurse sollte eine derartige Auseinandersetzung aufweisen (Eck 2006b, S.1):

  1. Kritik: Welche Kritik an bestehenden Sachverhalten wird erhoben?
  2. Anspruch: Welcher Anspruch wird gestellt? Welche Forderungen werden erhoben?
  3. Begründung: Wie kann dieser Anspruch begründet werden?

Ethik als Diskurs, der handlungsrelevant werden sollte, intendiert damit eine Veränderung gegebener Verhältnisse. Will man eine ethische Auseinandersetzung wagen, dann gilt es meist, sich einer häufig beobachtbaren Diskussionspraxis konfliktbereit zu widersetzen, die Debatten rund um wirtschaftsethische Themen in erstaunlich gleichförmigen Mustern ablaufen lässt:

Werden den Markterfordernissen gegenläufige Intentionen, wie beispielsweise Arbeitnehmerinteressen formuliert, oder ideelle Anliegen wie etwa „die Wahrung der Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit oder ökologische Nachhaltigkeit“ (Ulrich 2002, S.40) eingebracht, dann wird auf solcherart aufgeworfene Kritik in folgender typischer Weise reagiert (vgl. dazu Palazzo 2006):

  • Man stellt fest, dass die eigene Vorgehensweise zwar möglicherweise den formulierten Anliegen nicht in jeder Weise gerecht wird, dass man aber rechtlich abgesichert sei und also völlig legal handle.
  • Man führt wissenschaftliche Belegquellen an, die das eigene Tun als im Einklang mit wissenschaftlichem Fortschritt darstellen. Das alleine schon rechtfertige eigenes Vorgehen.
  • Man stellt klar, dass die wirtschaftlichen Zwänge eben keine andere Wahl lassen und man zudem – zumindest langfristig – indem man diese Gesetzmäßigkeiten berücksichtigt, im allgemeinen Interesse (Wohlstandsvermehrung, Arbeitsplatzsicherung o.ä.) handelt.

Indem solcherart auf ethisch motivierte Kritik mit entweder rechtlichen, wissenschaftlichen oder ökonomischen Argumenten reagiert wird, denen gemeinsam ist, dass sie jeweils unhinterfragbare objektive Gültigkeit beanspruchen, wird ein Diskussionsstopp praktiziert, der sich aus einer Diskursverfehlung, einer Inkompatibilität verschiedener Diskurse und damit einer Diskursverweigerung ergibt. Solchen typischen Ausweichmanövern gilt es Einhalt zu gebieten, was selbstverständlich Konflikte bedeutet.

Wird durch gelingende ethische Problematisierung zumindest eine kritische Reflexion von Gegebenheiten erreicht, ergeben sich wenigstens ein verändertes Bewusstsein und eine veränderte Wahrnehmung. Schon alleine solche potentiellen Effekte verweisen auf Dissens und Streit.

Unentrinnbar bedingt moralische Kommunikation zudem noch die Zuordnung von Missachtung oder Achtung gegenüber Personen(gruppen), was erst recht enormes Konfliktpotential aufweist. „Niemand lässt den Vorwurf auf sich sitzen, sein Handeln sei ‚unmoralisch’, ‚unethisch’ oder auch nur ethisch ‚fragwürdig’.“ (Eck 2006a, S.265)

Damit wird Konfliktfähigkeit zu einer ethisch relevanten, interpersonalen Kernkompetenz.

Ad 4. Selbstwirksamkeitserwartung (internale Kontrollüberzeugung)

Um emotionale Betroffenheit und die Resultate ethischer Reflexion auch in konkrete Aktivitäten umzusetzen, bedarf es einer ausreichenden „Selbstwirksamkeitserwartung“. Dieser Begriff, der auf Albert Bandura (1977) zurückgeht, verweist auf die Überzeugung, dass man bestimmte Verhaltensweisen erfolgreich ausüben kann, um das gewünschte Ziel zu erreichen. So glauben Personen mit einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung stärker daran, dass sie die Umstände zu ihren Gunsten verändern können, als Personen mit einer schwachen Selbstwirksamkeitserwartung[2].

Gerade im hier behandelten Zusammenhang scheint es von größter Bedeutung zu sein, dass man angesichts der globalen Dimension der hier angesprochenen Probleme, der omnipräsenten, gesellschaftsweiten Vorherrschaft eines unreflektierten Ökonomismus und der enormen Komplexität wirtschaftlicher Zusammenhänge nicht in eine Art „vorauseilender Resignation“ verfällt und von jedem Versuch Abstand nimmt, im eigenen Verantwortungsbereich ethisch orientierte Entscheidungen zu treffen und diese auch gegen mögliche Widerstände durchzusetzen. Ein richtungsloses Lamentieren im Sinne einer fatalistischen „No-Future-Haltung“ könnte die Folge sein.

Werden eigene Überzeugungen nicht auch im beruflichen Feld mit Wirksamkeitserwartung zu realisieren versucht, dann wird es wohl zu einer Trennung von Arbeits- und Privatleben kommen müssen und damit zu einer Art „Söldnermentalität“, indem dann eigene Werte nur mehr im Privaten zählen, in der Arbeitszeit aber beiseite gelegt sind. Das primäre Ziel beruflichen Handelns wird dann der monetäre Erfolg, um davon getrennt dann das Privatleben genießen zu können. Eine derartige Haltung stützt nicht nur die Verhältnisse, die es ethisch zu kritisieren gilt, es kann ein solcherart von eigenen Werten dissoziiertes Handeln im Berufsleben, gepaart mit einer in diesem Zusammenhang erlebten Hilflosigkeit, auch den Ausgangspunkt von ernsten psychischen Problemen bilden. Der erhoffte Lebensgenuss im Privatbereich könnte sich nur allzu leicht als Illusion erweisen, sollte eine psychische Dynamik einsetzen, die zumindest in eine depressive Verstimmung führt.

Ad 5. Durchbrechen des Unmittelbarkeitsbezugs und positive Zukunftsvisionen

Die psychischen Fähigkeiten, sich durch Leidenszustände anderer und die Beeinträchtigungen der Biosphäre betreffen zu lassen, diese Betroffenheit auch anhaltend erleben zu können und die soeben kurz dargestellte Konfliktfähigkeit und Selbstwirksamkeitserwartung reichen alleine noch nicht, um eine klar orientierte ethische Haltung entwickeln zu können. Jemand, der hier stehen bleibt, könnte allzu leicht einer im Grunde ziellosen Stimmungsherrschaft verfallen, die sich im Wesentlichen in spontanen Protestkundgebungen oder in nur momenthaften und orientierungslos bleibenden Aktivitäten erschöpft.

Nur die Erkenntnis, dass das bestehende gesellschaftliche System keineswegs das beste aller möglichen ist, und damit verbunden die Fähigkeit auch alternative Vorstellungen über das Zusammenleben von Menschen und von Mensch und Mitwelt entwickeln zu können, setzt das Individuum in die Lage, seinen konkreten Handlungen auf der Basis persönlicher Wertmaßstäbe und ethischen Grundsätzen Richtung und Sinn zu geben.

Damit gerät eine wesentliche, intellektuelle Fähigkeit als Voraussetzung für ethische Orientierung in den Blick, die darin liegt, den „Unmittelbarkeitsbezug“ eigener Lebenserfahrungen zu durchbrechen (Holzkamp 1985, S.421f.). Es sollte erkannt werden können, dass konkrete Leidenszustände von Personen auch durch ökonomische Interessen und gesellschaftliche Bedingungen entstehen und dass unmittelbare Bezugspersonen zum Teil Handlanger dieser Interessen waren und sind, ohne zu übersehen, dass das selbstverständlich auch für eigenes Tun gilt. Unterbleibt die Erkenntnis, dass sich auch in den jeweils konkreten, individuellen oder gar ‚privaten’ Zusammenhängen wie beispielsweise Familie, Schule und Betrieb gesellschaftliche Strukturen durchsetzen, dann verbleibt der oder die Einzelne in zu kurz gegriffenen Erklärungs- und Deutungsschemata verhaftet. Die gemeinsame Wachstums- und Erkenntnischance, die beinahe jedem Konflikt potentiell innewohnt, wird hier versäumt.

Nicht alleine an die Verantwortlichkeit der konkreten Personen ist bei letztendlich repressiv handelnden Interaktionspartnern zu appellieren, es gilt auch deren meist unerkannte Funktionserfüllung im Dienste repressiver Herrschaftsstrukturen zu entlarven und gemeinsam möglichst hinter sich zu lassen.

Damit ist festgestellt, dass mehr oder weniger bewusste Blickverweigerung, Unreflektiertheit und daraus resultierende Unwissenheit potentiell unethisches Verhalten nach sich zieht.

Die oft verschleierte Parteilichkeit des Marktes zu erkennen und nicht der so verbreiteten Argumentation einer als ‚objektiv’ dargestellten Sachzwanglogik des Marktgeschehens zu folgen, stellt eine Voraussetzung dar, um reflektiertes Wertbewusstsein und damit eine ethische Orientierung entwickeln zu können.

Darin liegt die enorme Bedeutung wirtschaftsethischer Aufklärung.

Ad 6. Akzeptanz sozialer Angewiesenheit und prosoziale Orientierung

Neben dem möglichst differenzierten Verständnis dafür, in welch vielfältiger Weise sich eine entfesselte globale Wirtschaftsdynamik sowohl positiv als auch negativ auswirkt, bedarf es auch der Erkenntnis, dass das Eintreten für die Rechte anderer Menschen und das Eintreten für den möglichst anhaltenden Fortbestand unserer Umwelt schon bei nur flüchtiger Betrachtung sich auch als ein Eintreten für eigene Interessen darstellt. Unterbleibt diese Erkenntnis und die damit verbundene Entwicklung eines „moralischen Interesses“ (Schramm 2004), dann entsteht eine nur oberflächlich helfende, im besten Fall mitleidvolle Haltung, die ihren subtil herrschaftlichen Charakter nie verliert.
Wenn eine solche karitative Haltung auch um vieles wertvoller ist als eine völlige Ignoranz oder ein folgenloses Bedauern der globalen Probleme, so wird doch ein differenziertes Wertebewusstsein als Basis für umfassende ethische Orientierung nicht erreicht. Eine vorrangig als „Spendenethik“ verfasste Vorgehensweise gerät leicht in Gefahr, zunächst nach strikt betriebswirtschaftlichen Kriterien größtmöglichen Gewinn zu erzielen, um dann „Gutes tun zu können“. Was dabei ausgeblendet wird, ist das oben ausgeführte Faktum, dass weder die Methoden noch das Ziel der Gewinnmaximierung ethisch neutral sind. „Man stelle sich (...) vor, wie absurd es wäre, wenn ein Investor zunächst bedingungs- und rücksichtslos (...) die Eigenkapitalrentabilität maximieren würde, ohne zu fragen, unter welchen humanitären, sozialen, politischen und ökologischen Bedingungen das angelegte Kapital sich vermehrt, um danach mit dem Ertrag solche gesellschaftlichen und ökologischen Schäden lindern zu helfen, die gerade durch einseitig gewinnmaximierendes Wirtschaften verursacht und ‚in Kauf’ genommen worden sind!“ (Ulrich 2002, S.148)

Deshalb sollte die oben angesprochene Betroffenheit dazu führen, sich in Beziehung zu anderen zu setzen und sie als autonome Subjekte auf gleicher Augenhöhe anzuerkennen. Nur aus der hier angesprochenen Verbundenheit in einem tief emotionalen Sinn erwächst die ethisch enorm bedeutsame Erkenntnis, dass man nicht nur Subjekt der eigenen Geschichte, sondern auch Subjekt innerhalb der Geschichten Anderer ist.

Erneut und abschließend gerät die schon erwähnte Bedeutung von „Empathie als (unterschätzte) Seinsweise“ (Rogers 1975) ins Blickfeld, die sich einmal mehr als unhintergehbare Voraussetzung für die Entwicklung einer tatsächlich ernsten Ethikorientierung zeigt. Einfühlendes Verstehen von anderen Kulturen, Personen und Lebewesen und die damit einhergehende emotionale Berührtheit durch ein Gegenüber ermöglichen die nötige Anteilnahme als prosoziale Orientierung, ein umfassendes Verbundenheitsgefühl zum Mitmenschen und zur Mitwelt. Damit sind unabdingbare Voraussetzungen für eine ethische Orientierung formuliert.

Um im Rahmen des Managements dann zu einer „Urteilsbildung über Urteile“ (Eck 2006a, S.267) gelangen zu können – und darin ist das Zielgebiet ethischer Reflexion zu sehen – bedarf es der Förderung des Wertebewusstseins von Personen durch wirtschaftsethische Aufklärung einerseits und entsprechende Gestaltung von Strukturen und Prozessen auf politischer und organisationaler Ebene andererseits. So könnte es gelingen, dass durch eine anspruchsvolle Form der ethischen Auseinandersetzung lebensdienliche Entscheidungen ermöglicht und die wesentlichen Fragen wach gehalten werden.

Peter Frenzel, www.tao.co.at

 


Fussnoten:
[1] Die kognitive soziale Perspektivenübernahme ist „keine Variante der affektiv-emotionalen Empathie, sondern entwickelt sich von dieser unabhängig und unter anderen Voraussetzungen. Sie wird auch durch andere Kriterien in der Entwicklung gefördert. (...) Die kognitive soziale Perspektivenübernahme kann emotionsneutral verlaufen. Das Ausmaß der Verwirklichung der Fähigkeiten zu affektiv-emotionaler Empathie und das Ausmaß der Verwirklichung der Fähigkeit von kognitiver sozialer Perspektivenübernahme können demnach auch in ein und demselben Individuum völlig unterschiedlich ausgeprägt sein.“ (Binder 1994, S.135)
 
[2] Es sollte dabei nie übersehen werden, dass Selbstwirksamkeitserwartungen auch eine bedeutsame situative Komponente haben, indem sie je nach Umweltbedingungen mitunter recht stark schwanken können, was auf die Notwendigkeit hinweist, ‚institutionelle Rückenstützen’ im Rahmen der Organisation zu etablieren. Damit sind innerbetriebliche Standards gemeint, „auf die sich die Mitarbeitenden beziehen können, insbesondere ein ausdrückliches Recht zur Kritik“. (Ulrich 2002, S.119)
 

Literatur:

Bandura A. (1977): Self-efficacy: Toward a unifying theory of behavioural change. In: Psychological Review, 84, 191-215

Binder, U. (1994): Empathieentwicklung und Pathogenese in der klientenzentrierten Psychotherapie. Überlegungen zu einem systemimmanenten Konzept. Eschborn bei Frankfurt/Main: Klotz.

Brodbeck, K.H. (2006): Management und Spiritualität. Salzburger Nachtstudio – Hörfunksendung Programm Ö1 (ORF) am 18.01.2006 um 21:01 Uhr.

Eck, C.D. (2006a): Ethische Fragen im Coaching von Führungskräften und Managementgremien. In: Lippmann, E. (Hrsg.): Coaching. Angewandte Psychologie für die Beratungspraxis. Berlin: Springer, 262-278.

Eck, C.D. (2006b): Ethik – jenseits von Dogmatik und Wirkungslosigkeit. Zürich: (unveröffentl.) Seminarunterlage.

Finke, J. (1994): Empathie und Interaktion. Methodik und Praxis der Gesprächspsychotherapie. Stuttgart/New York: Thieme.

Gruen, A. (2000): Die politischen Konsequenzen der Identifikation mit dem Aggressor. Das Bedürfnis, bestrafen zu müssen. In: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft, Nr. 1/00

Gruen, A. (2006): Über Identität und Unmenschlichkeit.

Holzkamp, K. (1985): Grundlegung der Psychologie. Frankfurt/Main/New York: Campus.

Palazzo, G. (2006): Management und Spiritualität. Salzburger Nachtstudio – Hörfunksendung Programm Ö1 (ORF) am 18.01.2006 um 21:01 Uhr.

Rogers, C.R. (1959): A theory of therapy, personality and interpersonal relationships, as developed in the client-centered framework. In: Koch, S. (1959) (Hrsg.): Psychology. A study of a science. Vol. III: Formulations of the person and the social context, New York: McGraw Hill, 184-256.

Rogers, C.R. (1975): Empathic – an unappreciated way of being. In: Rogers, C.R. (Hrsg.): A way of being. Boston: Houghton Mifflin, 137-163.

Schramm, M. (2004): Moralische Interessen in der Unternehmensethik. Hohenheimer Working Papers zur Wirtschafts- und Unternehmensethik Nr. 4, Stuttgart-Hohenheim: Institut für Kultur-wissenschaften.

Schulz von Thun, F. (1989): Miteinander reden 2 – Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung. Differentielle Psychologie der Kommunikation. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

Ulrich, P. (2002): Der entzauberte Markt. Eine wirtschaftsethische Orientierung. Freiburg: Herder.

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