TAO Unternehmensberatung

Buchrezension

Anja Förster und Peter Kreuz, Campus Verlag 2010 

Das sehr kurzweilig und leidenschaftlich geschriebene Buch beginnt mit Geschichten der beiden Autoren: Auf einer Reise durch die Sonora Wüste in den USA machten die beiden Autoren ein Foto. Das ungewöhnliche an dem Foto: die Wüste lebte, war ein buntes überwältigendes Blumenmeer - es hatte vorher geregnet und die Samen hatten nur darauf gewartet, bewässert zu werden um dann in aller Pracht und Schönheit beinahe zu explodieren. Die Assoziation, die sich den beiden aufdrängte, war der Gedanke an „die Wüste in manchen Unternehmen"

- wann kommt da der segenspendende Wassertropfen, damit die (an sich vorhandene und nur schlummernde) Kreativität und Buntheit (endlich) um sich greifen kann und zu überwältigenden Erlebnissen führt?

Die 2. Geschichte spielt am Bad Homburger Kreuz in der Nähe von Frankfurt. Die beiden waren auf der Rückreise von einem Besuch bei einem befreundeten Pater. Dieser hatte seine Freiheit zugunsten der Sicherheit in einem Kloster aufgegeben. Ein klares Set an Regeln legt den Tagesablauf fest, vor den Fenstern des Klosters ist es mal Sommer, mal Winter, mal irgendetwas dazwischen, und das Leben hinter den Fenstern läuft immer nach denselben Regeln und Ritualen. Im Gegenzug zu dieser geregelten Beständigkeit, der Gemeinschaft, der Bewahrung vor Überraschungen und der Sicherheit verlangt das Kloster von seinen Mitgliedern ein hohes Maß an Disziplin und auch Opferbereitschaft. Der Deal heißt: Unfreiheit gegen Sicherheit. Als die Skyline von Frankfurt auftaucht, stellen sich die beiden die Frage, was das Leben im Kloster vom Leben in den Wolkenkratzern unterscheidet: Nichts! Auch in den Büros heute gilt der Deal: Einordnung in die Gemeinschaft und deren Regeln und zum Ausgleich dafür einen Arbeitsplatz und festes Gehalt. Und auch ein gewisses Maß an Opferbereitschaft. Doch einen Unterschied gibt es: die langfristige Sicherheit gibt´s nur im Kloster.

Ausgehend von diesen Geschichten nehmen die beiden Autoren Anleihen bei der Philosophie, Denk- und Lebenswelt im World Wide Web. Der Impuls dazu ist naheliegend. Die heute frisch rekrutierten zukünftigen Leistungsträger in Organisationen sind zwischen 22 und 28 Jahren alt und wuchsen / bzw. wachsen weiterhin mit dem www auf. Sie werden mit der Philosophie und den Gesetzmäßigkeiten, die im Web herrschen groß ... und diese Spielregeln sind denen in den Unternehmen oft diametral entgegengesetzt. Ein paar Beispiele gefällig?

Das Internet lebt ohne formale Hierarchie, es „kennt keinen Chef". Entscheidend ist, ob jemand etwas zu sagen hat, einen Wertbeitrag liefert und damit genügend andere Menschen überzeugt. Im Internet schlägt eine natürliche Hierarchie die formale Hierarchie. Und diese natürlichen Hierarchien verändern sich ständig. Die Individuen entscheiden sich, wem sie folgen - und wem nicht. Und wie sieht das in den Unternehmen aus?

Im Web gilt: Aufgaben werden gewählt, nicht verteilt. Die User entscheiden selbst, ob sie sich an der Lösung einer Aufgabe beteiligen wollen oder nicht. Sei das das Programmieren einer Open Source Software oder das Posten eines Blogs. Niemand im Web hat die Macht, etwas zu befehlen oder zu sanktionieren. Wer andere Menschen für eine Sache einspannen will, der braucht überzeugende Argumente ... und muss sich uneigennützig verhalten. Und wie ist hier die entsprechende Realität in den Organisationen?

Im Web gilt: Kunden sind Partner auf der gleichen Augenhöhe. Kunden im www entlarven heute schon jedes leere Markenversprechen und stellen Unternehmen und Produkte, die die versprochene Performance nicht bringen, gnadenlos an den Pranger. Aber es geht noch weiter - die Autoren beschreiben (viele) Fallstudien, wo sich Unternehmen diese Logiken des www auch zunutze machten. Der Outdoor-Ausrüster Backcountry verzichtet z.B. auf eigene Produktbeschreibungen und lässt diese von seinen Kunden im Netz verfassen. Damit gibt das Unternehmen einen Teil der Markenverantwortung an die Kunden ab - damit aber auch einen Großteil der Gestaltbarkeit und Einflussmöglichkeit auf die Kommunikationsbotschaften. Andererseits wird dieses Vertrauen und diese Offenheit durch die Kunden mit sehr hoher Loyalität honoriert. Und neue Kunden vertrauen den authentischen Berichten von alten Kunden mehr als einer von einer Agentur durchgestylten Werbebotschaft.

Noch ein Beispiel, bevor wir uns wieder dem roten Faden dieses Buches zuwenden: Im www gilt: Ideen kursieren frei und die Masse ist intelligent. Im Internet entstehen die besten Ergebnisse, wenn eine möglichst große Zahl von Menschen sich mit möglichst vielen Ideen beschäftig und diese gemeinsam weiterentwickelt. Die Autoren stellen die provokante Frage, wo in Unternehmen die Möglichkeit besteht, so uneingeschränkt mitzureden und mitzubestimmen. Als Beispiel bringen Sie Geschichte von Alberto Alessi, dessen mehr als 200 Designer seine private Handy Nummer haben, um mit ihm über neue Designideen reden zu können. In welchem durchschnittlichen Industrieunternehmen ist es denkbar, dass die Mitarbeiter die Privatnummer des Vorstandes anrufen, um mit ihm eine Produktidee zu diskutieren ...?

Im zweiten Kapitel propagieren das Autorenpaar den Verzicht auf Sicherheiten zugunsten eines selbstbestimmten Agierens. Sowohl von Seiten der Unternehmungen als auch von Seiten der Dienstnehmer. Sie beschreiben Fallbeispiele, wo Unternehmen gänzlich auf die konventionellen Kontrollmechanismen wie Zeiterfassung, fixe Arbeitsplätze und Arbeitszeiten etc. verzichten und auf räumlich und zeitlich flexible Arbeitsmodelle bauen. Allerdings machen sie auch die notwendige Voraussetzung dafür sehr deutlich: die neugewonnene Freiheit bedingt auch ein hohes Maß an (Selbst)Verpflichtung und Selbstdisziplin, damit muss man auch erst einmal umgehen lernen. Und dieser Lernprozess braucht Begleitung und Zeit und ist nicht über eine Verordnung von oben oder ein Wochenendseminar erlernbar. Die Autoren behaupten, dass der Großteil der heutigen Unternehmungen bei genauerem Hinsehen immer noch nach dem klassischen Denkmodell Gehorsam, Sorgfalt und Fleiß aufgebaut ist. Um in der globalen Wettbewerbssituation aber bestehen zu können, braucht es ihrer Meinung nach vor allem drei Eigenschaften: Eigeninitiative, Kreativität und Leidenschaft. Und diese drei Begriffe sind die zentralen Elemente des Buches.

Wie können es Unternehmen schaffen, die Eigeninitiative der Mitarbeitenden zu wecken und einen Raum für Kreativität und Leidenschaft zu ermöglichen bzw. auch nur zuzulassen. Als (wieder eines von vielen) Beispielen beschreiben Sie die derzeitige Erfolgsgeschichte von Apples iPhone. Auf jedem iPhone oder iPad finden sich auf der Rückseite acht Worte: „Designed by Apple in California. Assembled in China." Der Erfolg der Produkte leitet sich aus dem ersten Satz ab: „Designed in California". In Cupertino arbeiten eine Menge von Menschen mit einer gehörigen Portion Kreativität an neuen wertschaffenden Lösungen. Der zweite Satz „Assembled in China" lässt sich übersetzen mit vier Attributen: Gehorsam, Sorgfalt, Fleiß und Intelligenz. Diese Eigenschaften sind wünschenswert und notwendig, keine Frage, aber sie machen weder den Produktkern noch den Erfolg von Apple aus. Diese Eigenschaften sind vielerorts verfügbar. Die Produkte könnten auch „Designed by Apple in California. Assembled in Vietnam, Kambodia, India, ... Timbuktu, ..." sein. Die einzige Konstante für den durchschlagenden Erfolg ist die Geburtsstätte in Cupertino, Kalifornien. Und das liegt nicht am Know How, das ist in Zeiten wie diesen auch überall schnell verfügbar, sondern an der Kombinationsgabe, der Phantasie, der Leidenschaft für neue Problemlösungen der Menschen in Cupertino. Dies ist die einzige unverwechselbare nicht kopierbare Größe.

Und diese Leidenschaft, diese Kreativität, diese Phantasie, dieses Kombinationsgabe, dieses miteinander Ideen spinnen lässt sich nicht per Dekret verordnen. „Ab morgen verstehen und lieben wir unsere Kunden!" funktioniert genauso wenig wie „Ab sofort sind wir kreativ und leidenschaftlich, aber flott!"

Aus vielen Beispielen versuchen die Autoren herauszuarbeiten, was denn diese Leidenschaft und Lösungskompetenz bewirkt. Sie kommen zu dem Schluss: Eigeninitiative, selbstbestimmte Arbeit, Eigenverantwortung, Lust an der Freiheit zu denken und zu gestalten und Spaß und Kommunikation. Als Voraussetzung braucht dieses Verhalten die organisatorischen Erlaubnisse Grenzen zu überschreiten, experimentieren zu dürfen und dabei auch Fehler zu machen, Raum und Zeit für Kommunikation, Reflexion und wieder Kommunikation. Dieses Verhalten ist nur möglich, wenn die Protagonisten keinem 100 %igen Erfolgszwang für alle (!!!) Aktivitäten unterliegen. Die in den Beispielen erwähnten Unternehmen gewähren ihren MitarbeiterInnen zwischen 10 und 20 % der Zeit für nicht produktive Zeiten, für Versuch und Irrtum, kreatives Spinnen, Experimentieren ...

Interessant ist auch das Kapitel über die „burnoutfreie Zone". Sowohl die von Förster und Kreuz beschriebene Eigenverantwortung als auch das leidenschaftliche Engagement sind ja auch anstrengend. Jedoch im Gegensatz zu Menschen, die in engeren organisatori­schen Korsetten mit weniger Selbstbestimmung und mehr Vorgaben und letztendlich mehr unter einen Hut zu bringenden Unvereinbarkeiten leben, ist die Burnout Gefahr bei diesem Typus von Menschen geringer, da der Spaßfaktor an der Arbeit und die Erfolgserlebnisse die wahrgenommene Belastung deutlich verringern.

Allerdings müssen diese Menschen gelernt haben, mit der Freiheit umzugehen, diszipliniert an einem Thema dranzubleiben, einen Strich machen zu können und auch für persönlichen Ausgleich zu sorgen. Die Autoren zitieren Mihaly Csikszentmihalyi, einen emeritierten Psychologieprofessor, der festgestellt hat, dass Menschen, die sich in ihre Arbeit versenken und in Gedanken ständig mit selbstgewählten Themen auseinandersetzen, diese immer wieder unter anderen Blickwinkeln durchdenken unter weniger Belastungen leiden als Menschen, die „ihre Jobs machen" und darin mit überwiegend fremdbestimmten Aufgaben konfrontiert sind. Diesen selbstbestimmten und engagierten Menschen „erscheint ... diese intensive Tätigkeit so mühelos wie das Atmen. Leben und arbeiten verschmilzt bei diesen Menschen zu einem einzigen Kontinuum. Solchen Menschen geht es erwiesenermaßen besonders gut." Finden tut man sie vorwiegend in Künstlerkreisen, bei Selbständigen, bei Pionierunternehmen.

Die Rolle von Führungskräften in solchen Organisationen muss sich zunehmend mehr in die eines sozialen Architekten transformieren, der Raum für die Entfaltung von Menschen schafft, der Fähigkeiten kultivieren hilft und der als Koordinator seinem Team „dient", sodass es ihm freiwillig folgt. Förster und Kreuz zitieren auch einige Beispiele, in denen die Führungskräfte von ihren Mitarbeitern tagtäglich neu bestätigt werden müssen, um in der Funktion zu bleiben bis dahin, dass sie tatsächlich gewählt werden - die Beispiele dazu reichen von Gore über Cisco bis hin zum indischen IT-Unternehmen HCL. In welchem klassischen Unternehmen hierzulande wären solche „anarchischen Zustände" denkbar?!

Das Autorenteam beschreibt in diesem Buch ein Kaleidoskop von bunten Ideen, denen man nicht unbedingt zustimmen muss, aber über die es sich unbedingt lohnt, nachzudenken. Kreativität und Leidenschaft kann nicht verordnet werden. „Ab morgen seid ihr alle leidenschaftlich, ohne Widerrede!" Sie beschreiben anhand von z.T. provokanten Ideen und vielen Beispielen Ansatzpunkte, wie es gehen könnte, dass die MitarbeiterInnen empowered werden können.

Aus unserer Sicht ein absolutes „Must Read". Nicht weil die Beispiele sofort zu kopieren sind, aber weil sie zum Denken anregen. Darüber hinaus: leicht zu lesen, spannend geschrieben, tauglich als Gute Nacht Lektüre.

Peter Weissengruber, www.tao.co.at

 

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